Donnerstag, 28. August 2008

Der Falsche Dmitrij - Zur Person in Historie und Literatur

(Stand April 2006)

1. Einleitung


Die Smuta – die Zeit der Wirren – ist jene Epoche der russischen Geschichte am Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts, die durch vielfältige Spannungen gekennzeichnet ist. So hinterlässt der verstorbene Ivan IV. Groznyj einen schwachsinnigen Thronfolger, der nicht fähig ist, das Land zu regieren. Der Tod seines Nachfolgers, des Zaren Fedor Ivanovič bedeutet nicht nur das Aussterben der Rjurikiden-Dynastie, sondern auch den Beginn von Bauernunruhen, die allmählich bürgerkriegsähnliche Züge annehmen. Missernten und Hungersnöte bilden die willkommene Grundlage dafür, einen von ausländischen Interventionstruppen unterstützten Prätendenten in Moskau zu installieren. Dieser geht in die Geschichte als Falscher Dmitrij ein, vorgebend, ein Sohn Ivans IV. zu sein.

Das Augenmerk im ersten Teil der Arbeit liegt darin, die authentischen Ereignisse und Umstände der „wirren Zeit“ zu charakterisieren. Im zweiten Teil soll kurz skizziert werden, wie das Thema der Smuta in der russischen und westeuropäischen Literatur verarbeitet wurde. Dabei sollen wesentliche inhaltliche Unterschiede herausgestellt werden.

Die Lebensdaten der im 2. Kapitel angegebenen Personen sind, wenn nicht anders ausgewiesen, Torkes Die russischen Zaren 1547-1917 entnommen. Im Übrigen gilt für diese Daten der Julianische Kalender.

2. Der Falsche Dmitrij als historische Person

2.1. Zur Person des wahren Dmitrij im Kontext seiner Zeit

Ivan IV.[1] ist mehrmals verheiratet. Aus seiner ersten Ehe mit Anastasija Romanova[2] gehen mehrere Kinder hervor, u.a. die Söhne Dmitrij, Ivan und Fedor. Dmitrij Ivanovič stirbt schon im Alter von nur wenigen Monaten bei einem Unfall.[3] Ivan Ivanovič stirbt ebenfalls eines unnatürlichen Todes.[4] So ist es der schwachsinnige Fedor Ivanovič[5], der Ivan IV. im Jahre 1584 auf den Thron folgt. Auf Grund der psychischen Situation des neuen Zaren wird ihm – noch auf Geheiß seines Vaters – ein Regentschaftsrat[6] zur Seite gestellt. Oberhaupt und somit de facto Herrscher über Russland ist anfangs der Onkel des Zaren, Nikita Zacharin. Ab 1587 wird dies Boris Godunov[7] sein, der Schwager des Zaren. Als Fedor im Jahre 1598 stirbt, wählt der zemskij sobor den bisherigen Regenten zum neuen Zaren.[8]

Die letzte Ehefrau Ivans IV., Marija Nagaja[9], gebärt ihrem Mann nochmals einen Sohn. Auch dieser wird Dmitrij[10] genannt. Da er keine körperlichen oder geistigen Gebrechen aufweist, ist es nicht ganz abwegig, dass dieser späterhin Zar werden kann. Doch auch in diesem Falle verhindert ein vorzeitiger Tod die Thronfolge. Soviel steht fest: Dmitrij Ivanovič stirbt achtjährig am 15.5.1591 in Uglič[11].

Die Umstände des Todes jedoch bleiben ungeklärt. So gibt es Vermutungen, dass Boris Godunov sich seines potentiellen, zukünftigen Konkurrenten entledigen wollte.[12] Eine offizielle Untersuchungskommission unter der Leitung von Vasilij Šujskij[13] konnte dies jedoch nicht bestätigen[14] und sieht vielmehr einen epileptischen Anfall des Jungen als Todesursache. Andere Quellen vermuten dahinter eine Intrige der Gegner Godunovs[15]. Diese sind vorrangig unter den altadligen Mitregenten zu suchen; in ihren Augen ist Godunov nur ein Emporkömmling, eines Regenten und späteren Zaren nicht würdig. In der Tat verdankt Godunov seinen Aufstieg u.a. dem Dienst in der Opričnina[16] und der Heirat mit Marija Skuratova[17].

2.2. Zur Person des Falschen Dmitrij

Es scheint erwiesen, dass sich um die Jahrhundertwende ein gewisser Grigorij Otrep’ev als vermeintlicher Zarensohn Dmitrij Ivanovič ausgibt und somit in die Geschichte als Falscher Dmitrij[18] (Pseudodemetrius oder auch Lžedmitrij[19]) eingeht. Er entstammt einer kleinadeligen Familie aus Galicien.[20] Als Waise lebt er vermutlich in verschiedenen Klöstern; wahrscheinlich erhält er die Weihe als Diakon. Zeitweilig hält er sich auch im Čudo-Kloster im Moskauer Kreml’ auf. Dies bietet ihm „die Gelegenheit, die Umgangsformen in der Residenz des Zaren und des Patriarchen kennenzulernen und sich über politische Verhältnisse zu unterrichten […] auf jedem Fall war ihm die Unzufriedenheit hochgestellter Personen [über das Regieren Boris Godunovs] ebenso bekannt, wie die Gerüchte über den angeblich geretteten ‚carevič’“.[21]

Um 1603/1604 erscheint Otrep’ev am Hofe des polnischen Fürsten Wiśniowiecki und inszeniert dort seine „Entdeckung“ als tot geglaubter Zarensohn. Er verbreitet die Legende, dass nicht Zar Ivans IV. Sohn 1591 gestorben ist, sondern ein ihm ähnlich aussehendes anderes Kind. So konnte er „überleben“ und über Irrwege nach Polen gelangen. Dort tritt er in Kontakt mit dem Voevoden von Sandomierz Jerzy Mniszech, dessen Tochter er später heiratet[22]. Mniszech ist es auch, der ihn am polnischen Königshof einführt, wo er unter anderem von König Zygmunt und auch vom päpstlichen Nuntius Claudio Rangoni empfangen wird. Von Polen aus, will der Prätendent im Jahre 1603/1604 nach Moskau ziehen, um sein rechtmäßig geglaubtes Erbe, den Zarenthron, anzutreten.

Jedoch regt sich auch Widerstand unter polnischen Adeligen, die sich nicht in ein waghalsiges Abenteuer mit dem Moskauer Reich stürzen wollen; zumal es einen Friedensvertrag zwischen Russland und Polen gibt.[23] So gibt es nur geheime Absprachen zwischen dem Falschen Dmitrij und dem polnischen König, da der Sejm Handlungen, die zu einem Krieg mit Russland führen können, wohl nicht zugestimmt hätte.

2.3. Zur innenpolitischen Situation Russlands

Die Jahre 1602 und 1603 sind von Missernten geprägt. In deren Folge kommt es zu Hungersnöten, Seuchen und Landflucht. Bauern verlassen ihre Herren – teils werden sie verstoßen[24], teils wird es ihnen erlaubt[25]. Unruhen unter der Führung des Knechtes Chlopko[26], die teilweise bürgerkriegsähnliche Züge annehmen, sind besonders für Südrussland charakteristisch.

Gerüchte gehen um, Zar Boris könnte daran Mitschuld tragen. Aberglaube, freilich, doch dieser scheint im russischen Volk sehr verbreitet zu sein. Gleichzeitig verstummen Gerüchte nicht, Boris habe den Tod des Dmitrij Ivanovič im Jahre 1591 zu verantworten und somit müsse das Volk nun in Form von Gottes- bzw. Naturvergeltung dafür zahlen. Wieder ganz andere Gerüchte besagen, Dmitrij hätte auf wundersame Weise überlebt und versucht nun, sein Erbe, sprich den Zarenthron, einzufordern.

In Wirklichkeit ist dies jener entlaufene Mönch Otrep’ev. Im Jahre 1604, mit einem Heer von wenigstens zweitausend polnischen wie russischen Söldnern, stößt der Falsche Dmitrij von Lemberg aus in Richtung Süden vor, um sich auch der Mithilfe von Kosakenstämmen zu versichern. König Zygmunts III. derweil erklärt diversen Moskauer Gesandtschaften gegenüber, dass zwischen beiden Reichen Frieden besteht. Jedoch hat er keine Autorität über den Adel, wenn dieser auf ausländischen Kriegsschauplätzen aktiv wird.

Unterstützt von der lokalen Bevölkerung, erreicht die Streitmacht des Prätendenten bald eine Stärke von mehr als 20.000 Mann. Zur Jahreswende 1604/1605 gerät der Vormarsch kurzzeitig ins Stocken, Erfolge bleiben aus und Unmut macht sich breit. Jedoch kann das Heer des Prätendenten zahlreiche kampflose Erfolge verbuchen; scheint die Bevölkerung im Süden dem Zaren Boris nicht besonders gesonnen zu sein. Die militärischen Erfolge des Prätendenten gehen mit dem Macht- und Autoritätsverlust des Zaren Boris einher. Und besonders beim alten Adel nähren sich die Hoffnungen auf einen baldigen Zusammenbruch der Godunovschen Macht, so dass ein künftiger Herrscher aus ihren Reihen kommen kann.

Wahrscheinlich infolge eines Blutsturzes stirbt Boris Godunov am 13.4.1605. Gerüchte besagen, der Zar habe sich aufgrund der aussichtslosen Lage das Leben genommen. Zwar bezeugen die Bojaren seinem Sohn und Nachfolger Fedor Borisovič ihre Treue; doch wenig später wechselt das zarische Heer unter Basmanov[27] die Seiten und kämpft nun an der Seite des Falschen Dmitrij. Die Episode Fedor Godunov endet ziemlich schnell, am 1.6.1605; der Zar und seine Mutter werden erdrosselt. Nun steht dem Einzug des Prätendenten in Moskau nichts mehr im Wege. Drei Tage vor der Krönung des Falschen Dmitrij zum Zaren aller Russen, findet in Moskau eine weitere Inszenierung statt: die letzte Frau Ivans IV. und Mutter des wahren Dmitrij, Marija Nagaja, seit 1592 die Nonne Marfa, erkennt im Pseudodemetrius ihren Sohn wieder. Im Herbst 1605 wird der Falsche Zar mit Marina Mniszek nach lateinischem Ritus in Krakau getraut. Die russische Trauung findet am 9.5.1606 in Moskau statt. Jedoch ist dieser Tag in der Orthodoxie ein Fasttag, dem Hl. Nikolaj gewidmet. Damit zieht sich der neue Zar den Unmut der Moskauer zu. Bald jedoch beginnt die Stimmung im ganzen Moskauer Reich zu kippen. Sein Lebens- und Regierungsstil (selbstherrliches Auftreten und Nichtbeachten der orthodoxen Regeln; Bevorzugung seiner polnischen Helfer) lassen sein Ansehen aber auch bei der ländlichen Bevölkerung sinken. So sind es denn die Bauern, die sich gegen ihn mobilisieren, da er auch die früheren Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Herr und Bauer wieder einrichten will.[28]

Die politische Lage bleibt unbeständig. Nach nur elf Monaten geht der Spuk des Falschen Zaren zu Ende. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen kann der Falsche Dmitrij seine polnischen Kampfgefährten auf Grund leerer Kassen nicht wie versprochen entlohnen. Zum anderen gelingt es einigen russischen Altadeligen unter Vasilij Šujskij[29], den Unmut der Bevölkerung nutzend, einen gewaltsamen Putsch gegen den Falschen Zaren zu initiieren, in deren Ende er am 17.6.1606 durch Gewehrschüsse ums Leben kommt.

Danach wird Vasilij Šujskij zum Zaren gewählt. Doch auch er vermag es nicht, Stabilität in Russland aufzubauen und wird am 16.7.1610 von seinen Gegner – die einem zweiten Falschen Dmitrij[30] folgen – zum Thronverzicht gezwungen und als Mönch geweiht.[31] De facto herrscht danach ein dreijähriges Interregnum[32], das mit der Wahl Michail Romanovs[33] zum Zaren am 11.07.1613 endet. Erst dann kann eine allmähliche Stabilisierung der politischen Situation in Russland erfolgen.

2.4. Zur außenpolitische Situation Russlands

Jahrhunderte lang gilt das osteuropäische Gebiet an den Ufern der Ostsee als Zankapfel mehrerer Staaten: es bekämpfen sich die Schweden, Polen, Litauer, Livländer, Russen, Deutsche in wechselnden Koalitionen einander. So ist es nicht verwunderlich, dass in Zeiten einer starken innenpolitischen Krise in Russland, die äußeren Feinde nach Möglichkeiten suchen, diese Instabilität zu ihren Gunsten auszunutzen.

Wie schon erwähnt, leisten polnische Adelige dem Prätendenten bereitwillig Unterstützung; hoffen sie doch damit, ihren eigenen und den Machtbereich des Königreiches Polen-Litauen erheblich zu vergrößern.

Gleichzeitig bietet der schwedische König Russland gegen den polnischen Feind Unterstützung an. Sicher nicht selbstlos, gibt es doch schwedisch-polnischen Streit um Livland, den die Schweden in einem Bündnis mit Russland zu ihren Vorteil nutzen könnten.

Aber auch Russland geht in die Initiative. Boris Godunov hofft, durch Verheiratung seiner Tochter Ksenija[34] neue Verbündete zu gewinnen; mal soll es das dänische Königshaus[35] sein, mal das schwedische[36]. Auch wird versucht, die Habsburger dafür zu gewinnen.[37] Unter anderem auch deshalb, um gemeinsam gegen das Osmanische Reich vorgehen zu können. So könnte sich für Russland das Problem der Krimtataren – die sporadisch ins Moskauer Reich einfallen –, als deren Oberhaupt sich der osmanische Sultan sieht, mit Hilfe des Kaiserreichs gelöst werden. Gleichzeitig könnte so auch der osmanische Einfluss an der Südostgrenze Russlands eingedämmt werden.

Nicht vergessen darf man die katholische Kirche. Sie muss wohl ein bestimmtes Interesse an innenpolitischer Instabilität in Russland gehabt haben, nährte dies doch Hoffnungen auf eine Kirchenunion mit der Orthodoxie.

3. Der Falsche Dmitrij als literarische Figur

Die turbulenten Ereignisse um den Falschen Dmitrij[38] riefen sowohl in Russland als auch in Westeuropa großes Interesse an einer Bearbeitung des Stoffes hervor.

Bereits unmittelbar nach den Ereignissen um die Thronbesteigung des Falschen Dmitrij erscheint noch im Jahre 1605 in London das Werk Sir Thomas’ Reise und Aufenthalt in Russland, dessen Autor wahrscheinlich George Wilkens ist. Es ist ein Tatsachenbericht, der nach Ansicht des Autors für eine künstlerische Bearbeitung sehr gut in Frage kommt. Jedoch dauerte es knapp ein Jahrhundert, bis das erste dramatische Werk entstand. Die Tragödie Der Zar von Moskau[39] aus der Feder von M. Pix konnte aber weder in Form noch Inhalt überzeugen.

Ganz anders die Situation in Spanien. Hier ist es Lope de Vega[40], dessen Drama Der Großfürst von Moskau und der verfolgte Kaiser[41] im Jahre 1617 erscheint. Historische Grundlage für dieses Werk ist wohl die Erzählung von der bemerkenswerten, fast wunderbaren Eroberung des väterlichen Imperiums durch den hehren Jüngling Dimitrij vom Jesuiten Antonio Possevino.[42] Besonders interessant scheint auch der Umstand zu sein, dass Lope de Vega wohl aus erster Hand von den Brüdern Marina Mniszeks Berichte über die Zustände in Moskau und Polen erhält.[43] Jedoch verwundert es, dass dabei teils skurrile Irrtümer und Widersprüche zu Tage treten[44], so die Existenz des Spaniers Rufino als Erzieher des Thronfolgers oder der Umstand, Demetrius sei der Enkel und nicht der Sohn Ivans IV. Im Übrigen ist der Demetrius des Lope de Vega kein Betrüger, sondern der wahre und rechtmäßige Thronfolger.[45] Ebenfalls abweichend von der Wirklichkeit, versucht der Zar Boris, sich selbst dem Prätendenten in den Weg zu stellen. Dies misslingt und der Zar nimmt sich vor Demetrius’ Augen das Leben. Das Werk endet mit der Schlacht bei Kromy.

In italienischen zeitgenössischen Bearbeitungen des Stoffes gibt es eine wesentliche Gemeinsamkeit mit den spanischen[46]: auch hier wird Demetrius als der wahre und legitime Thronfolger, ihm gegenüber aber Boris Godunov als der Usurpator angesehen. Letzterer taucht in den eigentlichen Handlungen aber so gut wie gar nicht auf, und wenn dann doch, dann meist nur in den Prologen auf und berichtet von seinen „Sünden“.[47] Besonders kennzeichnend für italienische Werke des 17. Jahrhunderts ist die Veränderung der Handlung in eine Harlekinade[48]. Stellvertretend dafür sei Harlekin Demetrius von Boccabodati[49] genannt. Verwirrungen um gleich drei Personen Demetrius[50], in deren Ende ein falscher Demetrius stirbt und somit den anderen beiden das Überleben ermöglicht. Jedoch will sich der Harlekin-Demetrius seinem Schicksal nicht fügen und strebt zur Macht. Auf Grund seines ungeschickten Charakters misslingt ihm dies und der echte Demetrius kann dank seiner edlen Herkunft den Thron besteigen. Zentrales Motiv ist demnach die „Gegenüberstellung von Aristokrat und ‚grobem Bauer’“[51] – wobei letzterer stets zum Scheitern verurteilt ist –; das Ideal der aristokratischen Literatur.

Besondere Bedeutung[52] kommt dem Werk von Friedrich Schiller zu, diente es doch zahlreichen anderen deutschen Dichtern[53] als Vorlage. Unglücklicherweise bleibt sein Werk Demetrius – Die Bluthochzeit von Moskau unvollendet, denn Schiller stirbt am 9.5.1805 und konnte nur ein knappes Jahr an diesem dramatischen Werk arbeiten. Nichtsdestotrotz hinterließ er nicht nur ein Dramenfragment, sondern auch eine Fülle bereits konzipierter Rohentwürfe in Prosa, wohl auch ein Grund, warum eine große Anzahl von Dichtern sich daran machte, Schillers Werk zu vollenden. Am Anfang der Handlung steht eben die Person des Demetrius als ein junger, liebenswürdiger, aber doch auch nicht tadelloser Mann, der den Reichstag in Krakau mit Hilfe eines Schmuckstücks und dem Eintreten von fünfzig polnischen Adligen von seiner edlen Abstammung überzeugt, mit dessen Hilfe er sein rechtlich angestammtes Erbe, den Thron von Moskau, antreten will. Mit Hilfe polnischer Adliger und großer Versprechungen im Falle eines Sieges gelingt es, Freiwillige für einen Feldzug gegen Russland zu gewinnen. Mahnende Stimmen des Reichstags werden nicht beachtet. Verlobt mit der forschen Marina Meischek und mit dem – inoffiziellen – Segen des Königs zieht er gen Moskau. Derweil erfährt man in Russland vom Ansinnen des Prätendenten. Marfa, die Mutter des wahren Zarensohnes unterstützt zögernd Demetrius, kann sie doch so ihren ärgsten Widersacher, Zar Boris, schädigen. In Tula erfährt jedoch Demetrius von seiner wahren Herkunft. Er wurde von der Person „X“ im Glauben gehalten, der Thronfolger zu sein. Damit wollte dieser Zar Boris schädigen, da der ihm bei der Zarenwahl zuvor kam. Zar Boris stirbt und Demetrius kann den Thron besteigen. Jedoch kommt es zum Konflikt mit dem Volk. Es lässt sich, bestürzt vom unangemessenen Betragen des neuen Zaren, von Zusky anstacheln. Als Marfa zögert, ihren vermeintlichen Sohn endgültig anzuerkennen, wird Demetrius getötet. Damit endet der dramatische Teil des Fragmentes.

Das wohl bedeutendste russischsprachige Werk[54] zum Thema des Falschen Dmitrij ist zweifelsohne das Werk Aleksandr Puškins.[55]. Es ist eine Tragödie in 24 Szenen. Die Handlung beginnt nach dem Tode Fjodors, Sohn des schrecklichen Zaren. In Moskau gibt es Gerüchte – angezettelt vom Fürsten Schuiskij –, dass der Zarensohn Dimitrij nicht tot sei. Dies hört auch der junge Mönch Grigorij Otrepjew im Moskauer Tschudowkloster. Bestärkt vom alten Mönch Pimen, träumt Otrepjew vom Aufstieg im Moskauer Reich, da im gleichen Alter wie Dimitrij ist. Er flieht aus dem Kloster nach Polen. Dort gibt er sich als Zarensohn Dimitrij aus und wird von hohen Würdenträgern empfangen. Marina, die Tochter des Mnischek, sieht die Chance für ihren sozialen Aufstieg und will Dmitrij heiraten. Jedoch offenbart sich dieser ihr aus Liebe. Sie droht, ihn zu verraten, sollte er „sein Spiel“ nicht weiterspielen. Derweil beginnen in Moskau die Bojaren – durch Schuiskijs Intrige – am Zaren Boris zu zweifeln. Dieser liegt kurze Zeit später im Sterben. Der Bojar Puschkin verkündet den Tod des alten Zaren Boris und fordert vom Volk die Huldigung für den neuen Zaren Dimitrij. Boris’ Sohn und Frau vergiften sich. Noch vor dem Einzug des neuen Zaren in Moskau endet das Werk.

4. Zusammenfassung

Warum konnte das ganze „Unternehmen Falscher Zar“ gelingen? Zum einen, weil der Prätendent eine charismatische Person war, der es gelang, andere Personen von seinem Handeln zu überzeugen. Warum musste das „Unternehmen Falscher Zar“ scheitern? Wie schon erwähnt lebte der Pseudodemetrius einen Lebensstil, der in den Augen der Russen Missgunst hervorrufen musste. Der Eindruck, der „Zar“ bevorzuge die Polen, verstärkte diese noch. Enttäuschte Bojaren und unzufriedene Untertanen, einte im gewissen Sinne der Wunsch, nach einem wie auch immer gearteten Regierungswechsel. Jedoch konnte eine gewisse Stabilität erst Jahre später, noch lange nach dem der erste Romanov zum Zaren gekrönt wurde, erreicht werden.

Es bleibt zu konstatieren, dass im Laufe der Jahrhunderte das Thema des Falschen Dmitrij unterschiedlich präsentiert worden ist. Charakteristisch für italienische und spanische Werke ist der Umstand, dass auf das Thema der Usurpation des angeblichen letzten Sohnes Ivans IV. nicht eingegangen wird. Vielmehr wird er vom Volk als der wahre Thronfolger gesehen. Demgegenüber ist es Boris Godunov, der die Zarenkrone illegitim erworben hat. In den Werken tritt dieser jedoch, wenn überhaupt, nur als Randerscheinung auf.

Demgegenüber sind die bedeutendsten deutschen und russischen Werke, näher an der historischen Wahrheit. Dabei ist die Figur des Dmitrij stets der Usurpator, teils wissend, teils unwissend.

Zum anderen aber auch ganz profane: das historische Quellenmaterial. So konnten sowohl Schiller als auch Puškin knapp zweihundert Jahre später auf andere bzw. unmittelbare Primär- und Sekundarquellen zurückgreifen. Sicherlich spielte auch der persönliche Stil im Umgang mit diesen Quellen eine Rolle.

5. Literaturverzeichnis
  • Alekseev, Michail P.: Boris Godunov und der Falsche Demetrius im westeuropäischen Drama, in ders.: Zur Geschichte russisch-europäischer Literaturtraditionen. Aufsätze aus vier Jahrzehnten, Berlin 1974, S.179-218.
  • Kasack, Wolfgang: Hauptwerke der russischen Literatur. Einzeldarstellungen und Interpretationen, München 1997
  • Lauer, Reinhard: Geschichte der russischen Literatur. Von 1700 bis zur Gegenwart, München 2000
  • Osterwald, Birgit: Das Demetrius-Thema in der russischen und deutschen Literatur, Münster 1982
  • Puschkin, Alexander: Boris Godunow. Die Komödie vom Zaren Boris und Grischka Otrepjew (1825), Stuttgart 2003
  • Schiller, Friedrich: Demetrius. Fragment, Leipzig 1986
  • Skrynnikow, Ruslan G.: Iwan der Schreckliche und seine Zeit, München 1992
  • Städtke, Klaus: Russische Literaturgeschichte, Stuttgart 2002
  • Stökl, Günther: Russische Geschichte - Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 1997[6]
  • Torke, Hans-Joachim: Die russischen Zaren 1547-1917, München 2005[3]
  • Torke, Hans-Joachim: Einführung in die Geschichte Rußlands, München 1997
Endnoten

[1] Ivan IV. Vasilievič (25.8.1530-18.3.1584), Großfürst, lässt sich am 4.12.1533 zum Zaren aller Russen krönen.
[2] Anastasija Romanova (ca. 1530/32-7.8.1560), erste Ehefrau Ivans IV., Heirat am 3.2.1547; Schwester von Nikita Romanovič Jur’ev-Zachar’in (ca. 1530-23.4.1586), der dem Regentschaftsrat (siehe FN 6) vorsteht.
[3] Im Alter von 6 Monaten stirbt der Zarensohn, als seine Amme und er von einem Bootssteg ins Wasser fallen.
[4] Der Zarensohn kommt seiner Frau Irina Šeremeteva zu Hilfe, als diese von Ivan IV. geprügelt wird. Ein Schlag des Vaters trifft ihn so unglücklich an der Schläfe, dass er einige Tage später am 19.11.1581 daran verstirbt. Die Frau des Thronfolgers ist zu dieser Zeit schwanger, bringt jedoch später nur einen toten Sohn zur Welt.
[5] Fedor Ivanovič (31.5.1557-6.1.1598), Zar (seit 31.5.1584)
[6] Auf Grund der psychischen Situation des Zaren Fedor Ivanovič existiert ein so genannter Regentschaftsrat (Izbrannaja rada), der bis 1586 von Nikita Romanovič Jur’ev-Zachar’in und danach von Boris Godunov geleitet wird. Weitere Mitglieder sind: F.I. Mstislavskij, N.R. Trubeckoj, I.M. Glinskij, B.I. Tatev und F.M. Troekurov. Weitere Informationen in: Энциклопедия кругосвет, URL: http://www.krugosvet.ru/articles/120/1012024/1012024a1.htm [Stand: 01.04.2006]
[7] Boris Fedorovič Godunov (1552-13.4.1605), Bojar, Regent, Zar (1598-1605), tatarischer Herkunft
[8] Dies ist ein wichtiges Ereignis, werfen doch Boris’ Kritiker ihm vor, er hätte die Macht ausschließlich usurpiert.
[9] Marija Fedorovna Nagaja (seit 1592 Nonne Marfa, † 1612) heiratet am 6.9.1580 Ivan IV.
[10] Dmitrij Ivanovič (19.10.1582-15.5.1591)
[11] Udel (Erbsitz) der Zarenwitwe. Der Ort befindet sich in der Oblast’ Jaroslavl. An der Stelle, an der Dmitrij Ivanovič starb, wurde die Kirche Cerkov’ svjatego Careviča Dmitrija erbaut.
[12] Näheres dazu in Karamzin, Nikolaj Michailovič: Istorija gosudarstvo Rossijskogo (tom 10), The Hague 1969; Solov’ev, Sergej Michailovič: Istorija Rossii s drevnejšich vremen (tom 7), Moskva 1959-1965; Ključevskij, Vasilij Osipovič: Russkaja istorii – Pol’nyj kurs lekcii, Moskva 2002
[13] Vasilij Ivanovič Šujskij (1552-12.9.1612), Bojar, Zar (1606-1610), Gegner Boris Godunovs
[14] Vgl. Torke, Zaren, S. 57. Näheres dazu auch in Platonow, Sergej F.: Geschichte Russlands vom Beginn bis zur Jetztzeit, Leipzig 1927.
[15] Vgl. Stökl, Russische Geschichte, S. 261f.
[16] Meint hier die eigentliche Schreckensherrschaft Ivans IV. Er installiert eine nur ihm unmittelbar unterstehende Miliz mit Sonderbefugnissen. Näheres dazu in Grüning, Martin: Die Opričninapolitik Ivans IV. und ihre Ziele (Magisterarbeit), Kiel 1999
[17] Sie ist die Tochter des berüchtigtsten Opričniks, Miljuta Skuratov.
[18] Auf russischer offizieller Seite nannte man ihn stets vor (Betrüger). Vgl. Stökl, Russische Geschichte, S. 267.
[19] In der russischsprachigen Literatur wird auch der Begriff samozvanec (der Selbsternannte) benutzt.
[20] Sein Vater, Bogdan Otrep’ev, ist sotnik (Hundertschaftsführer) in einem galicischen Schützenregiment.
[21] In: Torke, Zaren, S. 71f.
[22] Dafür konvertiert der ehemalige Mönch Otrep’ev zum Katholizismus.
[23] Zu den schärfsten Kritikern zählen Jan Zamojski (1542-1605), Lew Sapieha (1557-1633), Stanisław Żółkiewski (1547-1620). Für diese Angaben gilt der Gregorianische Kalendar.
[24] Ein Herr war stets verpflichtet, auch in Zeiten der Not, seinen Bauern zu „ernähren“. Dies wurde aber umgangen, indem der Bauer, widerrechtlich, verjagt wurde.
[25] Ohne sich jedoch diese „Freilassung“ urkundlich bezeugen zu lassen. Dies galt den Herren nach Überwindung von Not-Zeiten als Vorwand, „ihre“ entlaufenden Bauern gewaltsam zurückbringen zu lassen.
[26] Gesicherte Informationen über Lebensdaten liegen nicht vor.
[27] Fedor Alekseevič Basmanov (ca. 1562-17.5.1606), Heerführer, Bojar
[28] Bauern, die auf Grund der widrigen Umstände (Missernten, Hungersnöte) ihren Herren verließen, sollten diesem – wenn nötig mit Gewalt – wieder zugeführt werden (Schollenbindung, krepostnoe pravo). Vgl. Torke, Zaren, S. 76.
[29] An der sich auch seine Brüder Dmitrij Ivanovič (starb 1612) und Ivan Ivanovič (ca. 1566-ca. 1638) beteiligen. Vgl. Torke, Zaren, S. 78.
[30] „Im Sommer 1611 zählte man bis zu einem Dutzend Prätendenten, die vorgaben, der ‚echte’ Dmitrij Ivanovič zu sein.“ in: Torke, Zaren, S. 88.
[31] Er stirbt als polnischer Gefangener am 12.9.1612 in der Nähe von Warschau.
[32] Die semibojarščina (Sieben-Bojaren-Rat) bildete das höchste offizielle Organ des Staates. Ihm gehörten die Bojaren F.I. Mstislavskij, I.M. Vorotynskij, A.V. Trubeckoj, B.M. Lykov, I.N. Romanov, F.I. Šeremetev und anfänglich auch V.V. Golicyn an. Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass sie keine reale Macht hatten, den Staat als ganzen zu regieren. Weitere Informationen hierzu in: Энциклопедия кругосвет, URL: http://www.krugosvet.ru/articles/120/1012024/1012024a1.htm [Stand: 01.04.2006]. Im Übrigen sollte der Sohn Zygmunts III., Wladysław (9.6.1595-20.5.1648) zum Zaren ausgerufen werden. Doch erhob der polnische König kurze Zeit später selbst Ansprüche an den russischen Thron.
[33] Der erst Sechzehnjährige Michail Fedorivič (12.07.1596-13.07.1645) wird vom zemskij sobor (Landesversammlung) zum Zaren gewählt. In Wirklichkeit ist es jedoch dessen Vater, der Patriarch Philaret (eigtl. Fedor Nikitič Romanov, 1556-1633), der die Macht ausübt. Nichtsdestotrotz stellt dies den Beginn der 300jährigen Dynastie der Romanovs dar.
[34] Ksenija Borisovna Godunova († 1622), Tochter des Boris Godunov und der Marija Skuratova-Bel’skaja († 10.6.1605)
[35] So gibt es Pläne einer Hochzeit mit Herzog Johan, dem Bruder Königs Christian IV. Vgl. Torke, Zaren, S. 58f.
[36] Auch Gustav, Sohn des Schweden-Königs Johan III. kommt in die engere Wahl. Vgl. ebd.
[37] Ebd.
[38] Angemerkt sei an dieser Stelle, dass damit nur der erste Falsche Dmitrij gemeint ist. Zwar gab es weitere Prätendenten (siehe FN 30); diese spielen aber bei dieser Betrachtung keine Rolle. Vorgesehen war bei Schiller die Figur eines zweiten Pseudodemetrius, der am Ende der Tragödie auftreten sollte. Vgl. Schiller: Demetrius, S. 101.
[39] The Czar of Moscow
[40] Lope Félix de Vega Carpio (25.11.1562-27.8.1635), spanischer Dichter
[41] El gran Duque de Moscovia y Emperador perseguido.
[42] Veröffentlicht unter dem Pseudonym Barezzo Barezzi im Jahre 1606. Er stand im persönlichen Kontakt zum Falschen Dmitrij und konnte sich ein sehr genaues Bild des Moskauer Lebens machen.
[43] Vgl. Alekseev, Boris Godunov, S. 409.
[44] Entschuldigt mag dies damit werden, dass es Beziehungen zwischen Spanien und Russland zu dieser Zeit als solche kaum gegeben hat und der Autor demzufolge viel improvisieren musste. Oder er wurde schlicht und einfach falsch informiert.
[45] Somit ist in diesem Werk das Motiv des Usurpators – anders als in späteren literarischen Werken – nicht existent.
[46] Das lässt darauf schließen, dass gleiches historisches Quellenmaterial, das des Jesuiten Possevino, benutzt wurde.
[47] Gemeint sind hier die Attentatsversuche am Thronfolger Demetrius.
[48] Harlekin meint hier die Bezeichnung der zweiten Dienerfigur. Siehe Schweikle, Günther und Irmgard (Hrsg.): Metzler Literatur Lexikon. Begriffe und Definitionen, Stuttgart 19902, S. 190.
[49] Ende des 17. Jahrhunderts entstanden. Vgl. Alekseev: Boris Godunov, S. 195.
[50] Ein echter Demetrius und zwei Doppelgänger. Diese sind leibeigene Kinder, im gleichen Alter und ebenso erzogen wie der Thronfolger. Sie „dienen“ dazu, die Attentatspläne des Boris Godunov zu durchkreuzen.
[51] In Alekseev: Boris Godunov, S. 196.
[52] „… eines der größten Werke aller Zeiten …“, in Alekseev: Boris Godunov, S. 205
[53] Stellvertretend seien an dieser Stelle nur die folgenden genannt: Ferdinand Gustav Kühne (27.12.1806-22.4.1888), Volker Braun (* 7.5.1939): Dimitri, Leipzig 1983. Ferner bearbeiteten diesen Stoff, wenn auch nicht unbedingt Schillers Fragment nutzend, Hermann Grimm (6.1.1828-16.6.1901): Demetrius, Leipzig 1854; Christian Friedrich Hebbel (18.3.1813-13.12.1863): Demetrius (Fragment), Berlin 1864 oder Walter Flex (6.7.1887-16.10.1917): Demetrius. Ein Trauerspiel, Berlin 1909 und andere.
[54] Weitere Werke sind: Sumarokov, Aleksandr Petrovič (1717-1777): Dmitrij Samozvanec, Moskva 1771, Ostrovskij, Aleksandr Nikolaevič (31.3.1823-2.6.1886): Dmitrij Samozvanec i Vasilij Šujskij, Moskva 1867, Tolstoj, Aleksej Konstantinovič (1817-1875): Smert’ Ioanna Grosnogo, Moskva 1866, ders.: Car’ Fedor Ioannovič, Moskva 1868, ders.: Car’ Boris, Moskva 1870.
[55] Es ist die „erste große Geschichtstragödie der russischen Literatur“, in Lauer: Geschichte, S. 193.

EU-Strukturpolitik in Slowenien - Institutionen und Instrumente

(Stand April 2006)

1. Einleitung

Nach einem jahrelangen Beitrittsprozess trat am 1. Mai 2004 die Republik Slowenien der Europäischen Union bei[1]. Anfangs gab es große Mängel[2] bei der nationalen Umsetzung des gemeinschaftlichen Besitzstandes der Europäischen Union. Doch mehr und mehr entwickelte sich die Republik zu einem Musterbeitrittskandidaten. Und so ist es auch Slowenien, das als erster neuer Mitgliedsstaat zum 1. Januar 2007 den Euro als offizielles Zahlungsmittel einführen wird[3], während dessen in fast allen anderen neuen Staaten die wirtschaftliche Entwicklung dies erst mittelfristig zulassen wird.

Mit der größten Erweiterung der Europäischen Union in deren Bestehen ist unmittelbar die Frage nach dem Wesen und Funktionieren der EU verbunden. Insbesondere spielt hierbei die innere Solidarität eine sehr bedeutende Rolle. Der politisch motivierte Beitritt der „EU-10“[4] stellt die gesamte Gemeinschaft auch vor große wirtschaftliche Herausforderungen in Fragen der Struktur- und Regionalpolitik. So werden einerseits die neuen Mitgliedsländer von den Gemeinschaftsförderungen profitieren; andererseits jedoch Gebiete der EU-15 aber auf Grund des statistischen Effekts von bestimmten Förderungen ausgenommen, ohne dass dafür positive Effekte der Förderungen verantwortlich sind, sondern weil sich das durchschnittliche BIP der EU um mehr als 10 % verringert hat.

Diese Arbeit beginnt mit einem kurzen Überblick zur Republik Slowenien, umreißt den Beitrittsprozess zur EU und nennt wesentliche Institutionen und Instrumente sowohl Sloweniens als auch der Europäischen Union für die Umsetzung der europäischen Regionalpolitik. Die jüngst verabschiedeten Leitlinien für die Finanzperiode 2007-2013 sowie ein genereller Ausblick auf die Zukunft der Strukturmittel bilden den Abschluss dieser Arbeit.

2. Slowenien und die Europäische Union

2.1. Auf dem Weg zum Beitritt

Slowenien ist ein kleiner Staat in Mitteleuropa mit einer Gesamtfläche von etwa 20.273 km2 und einer Einwohnerzahl von knapp 2,00 Millionen. Damit ist Slowenien in etwa so groß wie Sachsen-Anhalt bzw. hat eine Einwohnerzahl ähnlich der Hamburgs und Gelsenkirchens zusammen[5]. In der Hauptstadt Ljubljana leben knapp 320.000 Einwohner. Als autochthone Minderheiten sind sowohl die Ungarn (ca 6.200 Einwohner) als auch die Italiener (ca. 2.300 Einwohner) anerkannt und genießen besondere politische Rechte[6]. Staatsoberhaupt ist seit 2002 Janez Drnovšek, Regierungschef seit 2004 Janez Janša.

Der Staat Slowenien in seiner heutigen Form entstand am 25.6.1991, als sich die Teilrepublik Slowenien von der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien für unabhängig erklärt. Mit der Verabschiedung der demokratischen Verfassung am 23.12.1991 erlangt Slowenien seine Souveränität und wird am 15.1.1992 von den EG-Staaten völkerrechtlich anerkennt.

Am 10. Juni 1996 unterzeichnet Slowenien mit den damaligen Mitgliedsstaaten der EU das Europabkommen[7], in dem die Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung eines künftigen Beitritts zur Union festgehalten sind. Diese sind jedoch größtenteils allgemeiner Natur; so steht in Art. 88 zum Thema Regionalentwicklung, dass die unterzeichnenden Vertragspartner „ihre Zusammenarbeit im Bereich der Regionalentwicklung und der Raumordnung“ verstärken, Beamte oder Sachverständige austauschen, technische Hilfe leisten wollen usw.[8] Noch am gleichen Tag stellt Slowenien einen Antrag auf Beitritt zur Union.

Die eigentlichen Verhandlungen mit Slowenien zum Beitritt beginnen ab dem 31.3.1998. Grundlage dafür bilden die so genannten Kopenhagener Kriterien[9]: Demokratie, institutionelle Stabilität, Wahrung der Menschenrechte, funktionsfähige und wettbewerbsfähige Marktwirtschaft, Verpflichtung zur Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes, des so genannten Acquis communautaire. Dieser Besitzstand ist bei den Beitrittsverhandlungen in 29 Kapitel unterteilt. In Kapitel 21 werden der aktuelle Stand sowie die Fortschritte beim Erreichen des Acquis beschrieben. Im Jahre 1998 wird Slowenien diesbezüglich erstmals evaluiert. Jedoch fiel die Bewertung eher schlecht aus, da es in Slowenien weder Institutionen noch Instrumente gibt, um von der europäischen Regional- bzw. Strukturpolitik zu partizipieren. Erst mit den Jahren – und dies zeigen die Fortschrittsberichte[10] – gelingt es Slowenien, entsprechende Instrumente zu entwickeln, so z.B. den Nationalen Entwicklungsplan, das Amt für Regionalentwicklung, Festlegungen in Bezug auf Verwaltung und Auszahlung der EU-Mittel usw.

So stellte dann auch der Europäische Rat von Kopenhagen im Dezember 2002 fest, dass u.a. Slowenien alle wesentlichen Bedingungen für einen Beitritt zur Union ausreichend erfüllt. In einer Volksabstimmung am 23.3.2003 entscheiden sich knapp 90 % der slowenischen Bevölkerung für einen Beitritt zur Europäischen Union. Nach Unterzeichnung des Beitrittsvertrages vom 16.4.2003 bzw. des dann folgenden Ratifizierungsprozesses in den EU-15-Staaten wird Slowenien am 1.5.2004 in die Union aufgenommen.

2.2. Wesen und Instrumente der EU-Strukturpolitik

Die Europäische Union bzw. ihre Vorgängerorganisationen wurden zum Zwecke von Frieden, Sicherheit sowie wirtschaftlicher und sozialer Solidarität gegründet. Titel XVII der konsolidierten Fassung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft[11] beschreibt, welche Institutionen und Instrumente vorgesehen sind, um Entwicklungsunterschiede innerhalb der Regionen der Union zum Zwecke einer harmonischen Entwicklung zu verringern. In der aktuellen Finanzperiode 2000-2006 werden dabei die finanziellen Zuwendungen – insgesamt ca. 195 Mrd. Euro – auf drei Zielgebiete verteilt. Diese sind
  • Ziel 1: Regionen, deren Pro-Kopf-BIP weniger als 75% des EU-Durchschnitts beträgt (geographisch ausgerichtet) – ca. 136 Mrd. Euro
  • Ziel 2: Regionen, mit sozialen Problemen, strukturschwache Agrarregion (geographisch ausgerichtet) – ca. 23 Mrd. Euro
  • Ziel 3: Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen (horizontal ausgerichtet) – ca. 24 Mrd. Euro
Die restlichen Mittel verteilen sich auf die Gemeinschaftsinitiativen – ca. 11 Mrd. Euro:
  • (Interreg): Förderung zur grenzübergreifenden, transnationalen Zusammenarbeit
  • (URBAN): Förderung der Städteentwicklung
  • (EQUAL): Förderung zur Bekämpfung von Ungleichheiten und Diskriminierung
  • (Leader): Förderung der Entwicklung des ländlichen Raumes
Für die Erreichung dieser Ziele werden verschiedene Finanzierungsinstrumente zur Verfügung gestellt. Diese sind im Einzelnen:
  • Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE): die Mittel dieses Fonds dienen zur „Entwicklung und strukturellen Anpassung der Regionen“[12], d.h. Ziele 1, 2;
  • Europäischer Sozialfonds (ESF): Mittel dieses Fonds dienen zur Umsetzung der europäischen Beschäftigungsstrategie, d.h. Ziele 1, 2, 3;
  • Finanzinstrument für die Ausrichtung der Fischerei (FIAF): Mittel dieses Fonds dienen zur Verwirklichung der europäischen Fischereipolitik, d.h. Ziel 1;
  • Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL): Mittel dienen der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik bzw. zur „Verbesserung der Effizienz der Erzeugungs-, Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen für land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse“[13], d.h. Ziel 1.
Des Weiteren gibt es den Kohäsionsfonds; jedoch profitieren von diesem nur die am wenigsten wohlhabenden Länder der EU, deren Pro-Kopf-BIP bei unter 90 % des BIP-Durchschnitts der Union liegt.[14]

Grundlegend für Finanzierung der Ziele mit bestimmten Fonds sind folgende Punkte:
  • Programmplanung: analog zur EU-Finanzvorschau müssen auch die Mitgliedsstaaten mehrjährige Programmplanungen vorlegen;
  • Partnerschaft: Mittel werden in Absprache mit den EU-, nationalen, regionalen bzw. regionalen Institutionen verteilt;
  • Verwaltung: Mittel für die Programme müssen durch entsprechende nationale Stellen verwaltet, begleitet und bewertet werden; ebenso müssen die Mitgliedsstaaten nationale Zahlstellen benennen;
  • Zusätzlichkeit: Mittel der Europäischen Union dürfen nicht ausschließlich, sondern nur zusätzlich zu den nationalen Mitteln verwendet werden.
2.3. NUTS-Gebietseinheiten

Die Regionen der Europäischen Union sind hierarchisch in die so genannte NUTS-Gebietseinheiten (Nomenclature des unités territoriales statistiques, Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik) gegliedert. Die Verordnung (EG) Nr. 1059 vom 26.5.2003 über die Schaffung einer gemeinsamen Klassifikation der Gebietseinheiten für die Statistik[15] unterscheidet zwischen NUTS 1, NUTS 2 und NUTS 3 Ebenen. Ursprünglich dienten diese nur zur Erhebung regionalstatistischer Daten; seit den 1970er Jahren aber auch als Verwaltungsebene für die Umsetzung der Regionalpolitik im Rahmen von Struktur- und Kohäsionsmitteln. Mit der o.g. Verordnung erfolgt die Unterteilung eines EU-Staates in NUTS-Regionen anhand von Einwohnerzahlen; NUTS 1-Regionen: 3 bis 7 Mio. Einwohner, NUTS 2-Regionen: 0,8 bis 3 Mio. Einwohner, NUTS 3-Regionen: 0,15 bis 3 Mio. Einwohner.

Aufgrund der geringen Einwohnerzahl Sloweniens gilt der ganze Staat als NUTS 2-Region. Die NUTS 3-Regionen sind im Einzelnen: Pomurska (SI001), Podravska (SI002), Koroška (SI003), Savinjska (SI004), Zasavska (SI005), Spodnjeposavska (SI006), Gorenjska (SI009), Notranjsko-kraška (SI00A), Goriška (SI00B), Obalno-kraška (SI00C), Jugovzhodna Slovenija (SI00D) und Osrednjeslovenska (SI00E). Die Einteilung in diese Regionen hat reinen statistischen Charakter und dient nur im Rahmen der EU-Strukturpolitik. Die Regionen sind weder historisch gewachsen noch stellen sie eine zwischenstaatliche Ebene mit entsprechenden Kompetenzen dar.[16]

Im Rahmen der aktuellen Finanzperiode der Strukturfonds werden Ziel 1- und Ziel 2-Maßnahmen auf der NUTS 2-Ebene realisiert.

2.4. Institutionen der Europäischen Union

Auf Seiten der Europäischen Union sind diverse Institutionen bei der Planung, Verabschiedung, Ausführung und Verwaltung der Strukturpolitik beschäftigt. In aller Kürze: Die Europäische Kommission macht einen Vorschlag über die Strukturfondsmittel. In diesem Vorschlag werden bestimmte Leitlinien und Finanzinstrumente definiert. Im Ausschuss für regionale Entwicklung des Europäischen Parlaments wird der Vorschlag diskutiert; anschließend nimmt das Parlament den Vorschlag an oder lehnt ihn ab. Gegebenenfalls muss der Vorschlag zurück zur Kommission. Stimmt das Parlament zu, so wird der Vorschlag nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen (AdR)[17] vom Europäischen Rat verabschiedet. Die Mitgliedsstaaten stellen, unter Berücksichtigung der allgemeinen Leitlinien der verabschiedeten Verordnung über die Strukturmittel, nationale Pläne für die Verteilung der EU-Beihilfen auf. Diese Pläne werden der Kommission vorgelegt und es werden Absprachen getroffen, mit welchen Mitteln die Pläne ausgestattet werden sollen. Anteile dieser Mittel werden dann den Mitgliedsstaaten überwiesen. Entsprechende nationale oder regionale Institutionen entscheiden über die konkrete Vergabe der Mittel für konkrete Programme. Die entsprechenden Projekte können nun durchgeführt werden. Die mit der Betreuung der Projekte vor Ort befassten Institutionen initiieren Begleitausschüsse zum Zwecke der Überwachung der richtigen Verwendung der Finanzmittel. Die Kommission wird davon in Kenntnis gesetzt; die ihrerseits die Kontrollmechanismen überwacht. Des Weiteren überweist sie die fälligen Beihilfen. Mitgliedsstaaten (oder auch Unternehmen) können unter bestimmten Voraussetzungen bei der Europäische Investitionsbank Darlehen erhalten, mit deren Hilfe sie Vorhaben zur Erschließung weniger entwickelter Regionen

2.5. Institutionen und Instrumente in Slowenien

Seit der Erlangung der Souveränität Ende 1991 erließ die Republik Slowenien diverse Gesetze auf dem Gebiet der kommunalen Selbstverwaltung bzw. zum Aufbau regionaler Institutionen. So garantiert schon die Verfassung des Landes in Kapitel V (Art. 138-145) die lokale Selbstverwaltung. Konkret Artikel 143[18] spricht sogar von Regionen als sich selbst verwaltende Körperschaften mit überlokaler Aufgabenwahrnehmung. Die Bildung solcher Regionen wird per Gesetz von der Nationalversammlung mit Zwei-Drittel-Mehrheit festgelegt. Die davon betroffenen Gemeinden sollen an diesem Prozess angemessen beteiligt werden; jedoch können sie willkürliche Zusammenschlüsse nicht verhindern. Der Staat ist aufgerufen, bei der Einrichtung und Verwaltung solcher Regionen entsprechende finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Jedoch wurde bislang noch kein Gesetz über die Regionen verabschiedet. Seit 1998 gibt es einen Entwurf über ein „Law on Regions“[19]. In diesem sind die Aufgaben und Organe, die Finanzierung und Verwaltung definiert. So soll die Region eine echte neue Verwaltungsebene sein, die sich in ihren Kompetenzen von der zentralstaatlichen und der lokalen Ebene unterscheidet. Die Region soll Aufgaben von überlokaler Bedeutung (Art. 9) erfüllen, z.B. die Errichtung und Erhaltung von Verkehrsinfrastrukturen, die Förderung der Wirtschaft und Tourismus und kann nach Art. 10 auch Aufgaben von der Zentralregierung überwiesen bekommen, z.B. Aufgaben im Bereich von Umweltschutz, Bildung und Weiterbildung usw. Organe einer Region sind der – von den Einwohnern einer Region gewählte – Regionalrat (Art. 15), der Gesetze und Verordnungen verabschieden soll (Art. 18); das Regionalkomitee, das Richtlinien für die Arbeit der Regionalverwaltung erarbeiten soll (Art. 23); ein Vorsitzender, der als Leiter der Regionalverwaltung fungieren soll (Art. 25). Die Aufgabenerfüllung der Regionen soll mithilfe von öffentlichen Geldern, z.B. in Form von Steuern, gesichert werden (Art. 26).

Entgegen diesem noch nicht verabschiedeten Entwurf eines Gesetzes über die Regionen gibt es aber andere Gesetzeswerke, die bereits in Kraft sind und das Funktionieren von Regionalpolitik im Sinne der EU-Kriterien Programmplanung (Nationaler Entwicklungsplan), Partnerschaft (Wirtschaftsministerium, Landwirtschaftsministerium, Raumplanungsministerium, Entwicklungsagenturen in den jeweiligen Regionen), Verwaltung (Amt für lokale Selbstverwaltung und Regionalpolitik), Zusätzlichkeit (öffentliche Finanzen) ermöglichen. So zum Beispiel: das Gesetz über lokale Selbstverwaltung; das Gesetz über die Regionalentwicklung; das Gesetz über regionale Entwicklungsagenturen; das Gesetz über das nationale Entwicklungsprogramm, das Gesetz über die öffentlichen Finanzen, das Gesetz über den Staatshaushalt usw.

Jüngst nahm am 1. Januar 2006 das Amt für lokale Selbstverwaltung und Regionalpolitik (ASR) seine Arbeit auf. In ihm sind nun die Aufgaben gebündelt, die vorher teils von der Nationalen Agentur für regionale Entwicklung, teils vom Rat für Strukturpolitik erfüllt wurden.[20] Rechtliche Grundlage bildet Art. 77 des Gesetzes über die Regionalentwicklung vom 21.10.2005[21].

Das ASR wird von Ivan Žagar geleitet und besteht aus drei Abteilungen:

(a) die Abteilung für lokale Selbstverwaltung: entsendet Vertreter in den Ausschuss der Regionen u.a.;
(b) die Abteilung für regionale Entwicklung: koordiniert Maßnahmen für die Ausführung des Gesetzes über die Regionalentwicklung; ist Verwaltungsstelle für den nationalen Entwicklungsplan; leitet und überwacht die Arbeit der Nationalen Agentur für Regionalentwicklung sowie des Nationalen Fonds für Regionalentwicklung;
(c) die Abteilung für EU-Kohäsionspolitik: definiert, koordiniert, überwacht und bewertet die Arbeit von Ministerien, Ämtern und anderen Institutionen, die mit der Umsetzung von EU-Strukturpolitik befasst sind; leistet Zuarbeiten bei der Erstellung oder Harmonisierung von Strukturpolitik-relevanten Gesetzeswerken.

2.6. EU-Mittel für Slowenien vor dem 1. Mai 2004

Vor dem Beitritt Sloweniens zur Union konnte das Land nicht direkt von den Strukturfondsmitteln partizipieren. Jedoch gab es diverse Gemeinschaftsinitiativen, die Slowenien auf den Beitritt vorbereiteten. Gemeint sind hier die Programme PHARE, ISPA und SAPARD.

Poland and Hungary Aid for Restructuring of the Economics (PHARE)[22]: Mit Hilfe dieses Programms wurden öffentliche Verwaltungen und Behörden unterstützt. Insgesamt erhielt Slowenien von 1992 bis 2003 fast 337 Mio. Euro aus diesem „Fördertopf“. Finanzhilfen wurden z.B. für die technische Ausstattung der Grenztruppen mit einem digitalen Funksystem gewährt.[23]

Instrument for structural policies for pre-accession (ISPA)[24]: Mittel aus diesem Programm wurden für Umweltprojekte verwendet, damit die Beitrittsländer EU-einheitliche Umweltvorschriften erfüllen können. Des Weiteren wurden Verkehrsinfrastrukturprojekte „zur Förderung einer nachhaltigen Mobilität“ unterstützt.[25] Von 2000 bis 2003 beliefen sich diese Mittel auf ca. 87 Mio. Euro[26].

So wurde zum Beispiel der Neubau einer Kläranlage in der Stadt Celje mit ca. 8,8 Mio. Euro (Gesamtkosten: 14,7 Mio. Euro) an EU-Geldern gefördert. Dank dieser Anlage kann verhindert werden, dass 4,5 Mio. m3 Abwasser ungeklärt in den Fluss Savinja fließen. Damit wird die Stadt die „Anforderungen der EU-Richtlinie für kommunales Abwasser“[27] erfüllen können.

Special accesssion programme for agriculture and rural development (SAPARD)[28]: Diese Programm unterstützt die Beitrittskandidaten bei der strukturellen Anpassung in der Landwirtschaft. Ziel ist es dabei, die Länder auf die Gemeinsame Agrarpolitik mit vier Förderungsschwerpunkten vorzubereiten: Verarbeitung und Vermarktung, Investitionen in landwirtschaftliche Betriebe, ländliche Infrastruktur, Berufsausbildung. Von 2000 bis 2003 beliefen sich diese Mittel auf ca. 26,7 Mio. Euro.[29]

So flossen z.B. 1,67 Mio. Euro in die Modernisierung des Milchverarbeitenden Unternehmens Ljubljanske mlekarne in Ljubljana.

Eine weitere Gemeinschaftsinitiative ist INTERREG. Diese wird aus Mitteln des EFRE realisiert und fördert die Zusammenarbeit zwischen den Regionen der EU. Diese können grenzüberschreitenden (INTERREG III A), transnationalen (INTERREG III B) oder interregionalen (INTERREG III C) Charakter haben. Eine Partnerschaft ging Slowenien mit Österreich in einem A-Programm ein, mit dem Ziel, nationalstaatliche Grenzen als Handlungsbarrieren für Menschen zu überwinden. Insgesamt stehen für den Zeitraum von 2000 bis 2006 etwa 63,7 Mio. Euro zur Verfügung. Davon entfallen 57,4 Mio. Euro auf Österreich (28,7 Mio. Euro aus EU-Mitteln) und 6,3 Mio. Euro auf Slowenien (davon 4,7 Mio. Euro aus EU-Mitteln). Zusätzlich werden in Slowenien aus dem PHARE CBC-Programm ca. 15,3 Mio. Euro bereitgestellt. So laufen derzeit Projekte mit verschiedenen Schwerpunkten: Wirtschaftsentwicklung und Tourismus, Entwicklung von Humanressourcen und Kooperation in kulturellen Angelegenheiten, räumliche Entwicklung und Umweltmanagement usw.[30]

2.7. EU-Mittel für Slowenien nach dem 1. Mai 2004

Seit dem Beitritt Sloweniens zur Union fließen reguläre Mittel aus den Strukturfonds ins Land. Von 2004 bis 2006 stehen für Slowenien Strukturfondsmittel in Höhe von 237 Mio. Euro zur Verfügung. Zusätzlich dazu noch 188 Mio. Euro aus dem Kohäsionsfonds sowie etwa 30 Mio. Euro aus INTERREG- und EQUAL-Mitteln; summa summarum ca. 456 Mio. Euro.[31]

3. Die Zukunft der europäischen Strukturpolitik

Eines der wichtigsten Reformobjekte der gesamten Politik der Europäischen Union sind die Finanzen. Jedoch wird diese Reform nur in sehr kleinen Schritten vollzogen, wenn nicht sogar aus dem Wege gegangen. Erst am Ende der britischen Ratspräsidentschaft im Dezember 2005 konnten sich die Staats- und Regierungschefs auf folgende, wenn auch nur vorläufige, Festlegung einigen.

3.1. Die neue Finanzperiode 2007-2013 – Offizieller Stand der Dinge

Für den Zeitraum von 2007 bis 2013 beträgt das Gesamtbudget etwa 862 Mrd. Euro. Dies entspricht etwa 1,05% des EU-BNE. Für die Strukturfonds stehen dabei ca. 307 Mrd. Euro (36%) zur Verfügung; für die GAP etwa 293 Mrd. (34%).[32] Jedoch ist dieser Kompromiss kein gelungener; vielmehr ist es eine Verlängerung des Status quo. Wieder wurde es versäumt, wichtige Reformen anzupacken. So gibt es eine Vielzahl von Sonderregelungen – deren Anzahl sich in der neuen Finanzperiode noch erhöht – wie z.B. (zusätzliche) Sonderzahlungen für dünn besiedelte Gebiete in Schweden und Finnland oder Beihilfen für Großbritannien und Irland zur Fortsetzung des Friedensprozesses in Nordirland. Auch wird der britische Sonderrabatt – wenn auch in gekürzter Form – bestehen bleiben. Positiv ist jedoch hervorzuheben, dass es dem Rat überhaupt gelang, einen Kompromiss herzustellen, nachdem der Vorschlag der Kommission vom Dezember 2004 und luxemburgische Vorschlag vom Juni 2005 scheiterten. Auch die finanzielle Vorausschau per se – die ja nicht vertragsmäßig festgeschrieben ist – ermöglicht eine langfristige Planung und gesicherte Durchführung des Haushalts.

Wie oben erwähnt, sind diese Festlegungen vorläufig. Am 5. Juli 2006 stimmte aber schon das Europäische Parlament den Vorschlägen zu. So wird es in der neuen Finanzperiode ein Budget an Strukturfondsmitteln in Höhe von etwa 308 Mrd. Euro – das sind ca. 36% der gesamten Ausgaben der Europäischen Union – geben. Diese Gelder werden für drei Ziele verwendet werden, deren allgemeine Leitlinien hier kurz angerissen werden sollen.

Ziel 1: Konvergenz – Etwa 251 Mrd. Euro (82% der Gesamtsumme) kommt den Mitgliedsstaaten und Regionen zugute, die den größten Entwicklungsrückstand innerhalb der EU haben, d.h. einerseits die Regionen, deren Pro-Kopf-BIP geringer als 75% des EU-Durchschnitts ist (z.B. Slowenien) beträgt, aber auch andererseits jene Regionen, die nach dem Beitritt der zehn Staaten im Jahre 2004 vom statistischen Effekt betroffen sind. Dabei sollen mit den Geldern die Voraussetzungen für Wachstum und Beschäftigung verbessert, Investitionen in Humanressourcen und Umwelt getätigt sowie die Entwicklung der Wissensgesellschaft vorangetrieben werden.

Ziel 2: Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung – Etwa 49 Mrd. Euro (16% der Gesamtsumme) können für die Regionen ausgegeben werden, die nicht unter das Konvergenz-Ziel fallen. Damit soll die Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen gefördert werden und es soll mit diesen Geldern vorausschauend auf wirtschaftliche Veränderung reagiert werden.

Ziel 3: Europäische territoriale Zusammenarbeit – Etwa 8 Mrd. Euro (2% der Gesamtsumme) stehen für die grenzüberschreitende lokale und regionale Zusammenarbeit zur Verfügung. Besonderer Wert wird dabei auf den Erfahrungsaustausch mit dem Ziel einer integrierten territorialen Entwicklung gelegt.[33]

Diese Ziele sollen mit drei Finanzinstrumenten erreicht werden, dem EFRE (Ziel 1, Ziel 2, Ziel 3 – z.B. zur Förderung privater und öffentlicher Investitionen), dem ESF (Ziel 1, Ziel 2 – u.a. zur Förderung von Partnerschaften für Reformen bei Beschäftigung und Eingliederung) und dem Kohäsionsfonds (Ziel 1 – u.a. zur Förderung von in den Bereichen Umwelt und Verkehr).

Des Weiteren wird es drei regionalpolitische Initiativen geben, die dort eingesetzt werden können, wo es Probleme mit der Kofinanzierung von Projekten der öffentlichen Hand bzw. von Unternehmen gibt.

JEREMIE (Joint European Resources for Micro to Medium Enterprises): Mithilfe des Europäischen Investitionsfonds (EIF) bei der Europäischen Investitionsbank können kleine und mittlere Unternehmen in Form von Kleinkrediten oder Risikokapital finanziell unterstützt werden.

JESSICA (Joint European Support for Sustainable Investment in City Areas): Dies können Kredite internationaler Finanzinstitute (Entwicklungsbank des Europarates u.a.) sein, die als Verstärkung der Eigenmittel für städtische Maßnahmen (z.B. sozialer Wohnungsbau) gedacht sind.

JASPERS (Joint Assistance in Supporting Projects in European Regions): Ziel ist es, sowohl bei der planerischen Gestaltung von Großprojekten (Infrastruktur) als auch bei der finanziellen Umsetzung mit Mitteln der Europäischen Investitionsbank und Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung unterstützend tätig zu sein.[34]

Slowenien wird in den kommenden Jahren ca. 3,74 Mrd. Euro aus den Strukturmitteln bekommen. Diese werden zu 98 % (ca. 3,65 Mrd. Euro) für Ziel 1-Projekte eingesetzt werden; die restlichen 93 Mio. Euro für Ziel 3.

3.2. Ausblick – Reform der EU-Finanzen

Die Einnahmen und Ausgaben des EU-Finanzhaushaltes sind untransparent, teilweise ungerecht und mitunter nicht nur für den Laien schwer verständlich. Daher bedürfen sie einer umfassenden Reform. Da in den Verhandlungen für die nächste Finanzperiode keine großen Reformsprünge mehr erwartet werden können – im Übrigen sind die finanziellen Aufwendungen für die Gemeinsame Agrarpolitik bereits bis 2013 festgelegt –, sollten die Mitgliedsstaaten und die Institutionen der Europäischen Union die nächsten Jahre dafür nutzen, eine transparenteres, gerechteres und einfacheres System der Einnahmen und Ausgaben zu entwickeln.

Einnahmen: Im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft heißt es im Artikel 269, dass „Einnahmen vollständig aus Eigenmitteln finanziert“[35] werden. Jedoch gibt es keine originären EU-Eigenmittel. Vielmehr gibt es indirekte Eigenmittel – sie werden nicht von EU-Institutionen, sondern von nationalen Institutionen eingenommen –, die zuletzt im Jahre 2000 festgelegt[36] wurden, z.B. Abgaben auf den Warenverkehr mit Drittländern im Rahmen der GAP, Zölle des Gemeinsamen Zolltarifs, Anteile des Mehrwertsteueraufkommens der Mitgliedsstaaten sowie eines einheitlichen Erhebungssatzes von 1,27 % des BSP der Union für jeden Mitgliedsstaates.

Mit der Einführung einer EU-Steuer kann eine originäres Eigenmittel geschaffen werden, das transparent ist und auf lange Sicht das komplizierte System der Einnahmen vereinfachen kann. Die Ausgestaltung bzw. Organisation einer solchen Steuer zieht aber nicht nur Vorteile nach sich. Denn ebenso wie andere Steuern wäre auch diese konjunkturellen Schwankungen unterworfen und eine langfristige finanzielle Planung kann dadurch verhindert werden. Generell ist auch anzumerken, dass die Einführung einer (zusätzlichen) Steuer psychologisch sehr heikel ist, wenn es komplementär dazu keine Steuerentlastung gibt.

Weiterhin ist ein neuer Vorschlag der Kommission vom 16.3.2006 in der Diskussion[37], der insbesondere den Nettozahlerländern entgegenkommt und diese weniger belastet. So soll der MwSt-Anteil für Österreich auf 0,225% und der Deutschlands auf 0,15% sinken; für die meisten anderen Staaten beträgt der einheitliche Anteil 0,30%. Des Weiteren sollen die Niederlande um ca. 600 Mio. und Schweden um 150 Mio. Euro entlastet werden.

Ausgaben: Generell sollte darüber nachgedacht werden, Veränderungen auf der Ausgabenseite durchzuführen. So sind die Verhandlungen zur Aufstellung des EU-Budgets stets von der Nettosaldoproblematik gekennzeichnet, d.h. jedes Land achtet darauf, dass es möglichst mehr Geld aus den EU-Töpfen erhält, als dass es einzahlt. In diesem Zuge muss auch über die endgültige Abschaffung des britischen Sonderrabatts, der seit 1984 besteht, diskutiert werden. Dieser ist auch ein sichtbarer Ausdruck für die Finanzungerechtigkeit in der Europäischen Union. Zwar war dieser Rabatt im Jahre 1984 gerechtfertigt – flossen damals noch knapp zwei Drittel der EU-Finanzen in den Landwirtschaftssektor; Großbritannien konnte jedoch aufgrund der kleinen Landwirtschaft schlecht von den EU-Geldern partizipieren und außerdem lag die Wirtschaftsleistung des Landes zehn Prozent unter dem EU-Durchschnitt –, jedoch hat sich die Lage in den letzten Jahren erheblich geändert (Großbritanniens Wirtschaftskraft stieg erheblich; der Anteil der Agrarausgaben liegt bei unter 50%), so dass er aus heutiger Sicht als veraltet und ungerecht angesehen wird.[38] Großbritannien bekommt ca. zwei Drittel seines Nettobeitrages erstattet – anteilig von allen Mitgliedsstaaten, außer Großbritannien selbst finanziert. Für die Jahre 2000 bis 2004 sind dies ca. 26 Mrd. Euro. Seit 1984 besteht auch ein so genannter Rabatt auf den Rabatt. Dieser schreibt fest, dass z.B. Deutschlands Finanzanteile an der Rückzahlung des britischen Sonderrabatts geringer sind, als z.B. die der anderen Nettozahler wie Frankreich oder Italien. Im o.g. Vorschlag (siehe FN 37) wird der britische Sonderrabatt mit maximal 10,5 Mrd. Euro für den Zeitraum von 2007 bis 2013 angegeben und ist von den Staaten der EU-15 mit Ausnahme Großbritanniens zu erbringen. Für 2011 sieht der Vorschlag die Einstellung der Rabattzahlungen vor. Jedoch dürfte die Umsetzung schwierig werden, da die Aufhebung der Rabattzahlungen nur einstimmig beschlossen werden können. Mit Widerspruch aus Großbritannien wird zu rechnen sein.

4. Zusammenfassung

Slowenien hat sich im Verlaufe des Beitritts zur Union zu einem Musterkandidaten entwickelt. Es schuf Instrumente und Institutionen zur Umsetzung der EU-Struktur- und Regionalpolitik, die in den Fortschrittsberichten der Kommission positiv herausgestellt wurden. Seltsamerweise gelang aber bis heute nicht die Einrichtung einer Regionalebene als zwischenstaatliche Ebene mit entsprechenden Kompetenzen.

Die ist m.E. aber auch nicht notwendig. Zum einen wäre die Ebene nur eine künstliche rekonstruierte – ohne historisch gewachsen zu sein –, die mitunter an Legitimitätsmängel zu leiden hätte. Zum anderen ist Slowenien von Fläche und Einwohnerzahl ein sehr kleines Land, so dass die Einrichtung einer solchen Ebene EU-Regionalpolitik eher verkomplizieren als erleichtern würde. Die derzeitige Einteilung in zwölf (statistische) Regionen ist aus heutiger Sicht ausreichend. Jedoch sollte nach Abschluss der aktuellen Förderperiode Ende 2006, in der Slowenien zum ersten Mal vollständig von den Strukturfonds partizipiert, evaluiert werden, ob die Gebietseinteilung und die damit verbundene Verwaltung der EU-Gelder effektiv und effizient ist.

Es bleibt zu konstatieren, dass es zwar der Europäischen Kommission gelang, das System der Strukturfonds zu vereinfachen, indem die Zahl der Ziele und Finanzinstrumente von 9 auf 3 bzw. von 6 auf 3 verringert wurde[39]. Jedoch ist dies keine wirkliche Reform, sondern in Hinblick von Einnahmen und Ausgaben nur die Fortschreibung des Status quo.

Generell muss die Europäische Union ihre gesamten Politiken überdenken. Es stellt sich die Frage nach der Zukunft der Union: Erweiterung oder Vertiefung des europäischen Einigungsprozesses. Auf Grund des Scheiterns der EU-Verfassung und des möglicherweise bevorstehenden Beitritts von mindestens zwei weiteren Ländern, sollte der Fokus auf Vertiefung liegen. Erweiterung ist zwar politisch wünschenswert, wirtschaftlich kann dies jedoch fatal sein.

5. Literaturverzeichnis und Internet-Quellen

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Becker, Peter: Fortschreibung des Status Quo – Die EU und ihr neuer Finanzrahmen Agenda 2007, in: integration 2/2006, S. 106-121.

Becker, Peter: Mehr Geld für Europa – Die Verständigung auf einen neuen EU-Finanzrahmen 2007-2013, SWP-Aktuell 4/Januar 2006, Berlin 2006

Brusis, Martin 2003: Regionalisierungsprozesse in Mittel- und Osteuropa. Institutionelle und fiskalische Aspekte regionaler Autonomie, in: Osteuropa Wirtschaft 4/2003, 48. Jg., S. 309-332.

Davidis, Yvonne: Die Europäische Regional- und Strukturpolitik (Rissener Einblicke – Hamburger Zeitschrift für Politik und Wirtschaft 6-7/2004), Hamburg 2004, S. 59-82.

Ederveen, Sjef u.a.: Funds and Games. The Economics of European Cohesion Policy (ENEPRI Occasional Paper No. 3/October 2003), Brussels 2003

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Verfassung der Republik Slowenien
http://www.us-rs.si/en/index.php?sv_path=6,17&itlang=_L2

Endnoten

[1] So wie die anderen Beitrittskandidaten Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Tschechie, Ungarn, Zypern.
[2] Siehe dazu die „Umfassenden Monitoring-Berichte über die Vorbereitungen Sloweniens auf die Mitgliedschaft“.
[3] Vgl. http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/06/623&format=HTML&aged=0&
language=DE&guiLanguage=en [Stand: 01.08.2006]
[4] EU-10 meint die Staaten, die am 1.5.2004 der EU beitraten; EU-15 hingegen die Staaten, die vor dem 1.5.2004 bereits Mitglieder der EU waren. Demzufolge meint EU-25 alle aktuellen Mitgliedsstaaten.
[5] Die Daten von Slowenien sind folgender URL entnommen: http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laender/Slowenien.html [Stand: 01.08.2006]; die Daten zu Deutschland http://www.statistik-portal.de/Statistik-Portal/de_jb01_jahrtab1.asp [Stand: 01.08.2006] bzw. http://www.staedtetag.de/10/staedte/nach_einwohner/index.html [Stand: 01.08.2006]
[6] Vgl. Artikel 5 und 11 sowie insbesondere Art. 64 bzw. 80 der Verfassung der Republik Slowenien. In URL: http://www.us-rs.si/en/index.php?sv_path=6,17&itlang=_L2 [Stand: 01.08.2006]
[7] Der Volltext ist unter URL http://www.jura.uni-sb.de/BGBl/TEIL2/1997/19971856.2.HTML
[Stand: 01.08.2006] online.
[8] Vgl. Art. 88, Abs. 1 und 2 des Europa-Abkommens, in URL: http://www.jura.uni-sb.de/BGBl/TEIL2/1997/
19971872.2.HTML#GL105 [Stand: 01.08.2006]
[9] Da sie auf dem Europäischen Rat in Kopenhagen am 22.6.1993 festgelegt wurden.
[10] Eine Übersicht aller Berichte findet sich auf http://ec.europa.eu/enlargement/archives/enlargement_
process/past_enlargements/eu10/slovenia_en.htm [Stand: 01.08.2006].
[11] Gemeint sind hier die Art. 158 bis 162. In: URL http://europa.eu/eur-lex/de/treaties/dat/C_2002325DE.003301.html [Stand: 01.08.2006]
[12] In: Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 des Rates vom 21. Juni 1999 mit allgemeinen Bestimmungen über die Strukturfonds, S. 2. URL: http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/1999/l_161/l_16119990626de00870093.pdf [Stand: 01.08.2006]
[13] Ebd.
[14] Vgl. Verordnung (EG) Nr. 16/2003 der Kommission vom 6. Januar 2003 in URLhttp://ec.europa.eu/regional_policy/sources/docoffic/official/regulation/content/de/02_pdf/00_6_cf_5_de.pdf [Stand: 01.08.2006]
[15] Diese Verordnung ist online verfügbar. URL: http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/2003/l_154/l_15420030621de00010041.pdf [Stand: 01.08.2006]
[16] Die administrative Einteilung, die noch aus den 1970er Jahren stammt ist die: 58 dezentrale Verwaltungseinheiten; 193 Gemeinden, davon 11 Stadtgemeinden.
[17] Rechtliche Grundlage: Art. 263-265 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Vertreter Sloweniens im AdR sind Janko Halb (Bürgermeister von Rogašovci), Bostjan Kovacic (Bürgermeister von Novo Mesto), Breda Pecan (Bürgermeisterin von Izola), Anton Smolnikar (Bürgermeister von Kamnik), Robert Smrdeij (Bürgermeister der Gemeinde Pivka), Boris Sovic (Bürgermeister von Maribor), Tomaz Stebe (Bürgermeis-ter von Mengeš). Dem Ausschuss der Regionen (AdR) wird nur eine beratende Funktion zuteil. Er hat keine reale Macht, sondern muss nur gehört werden. Er gibt Stellungnahmen und Empfehlungen ab, für die es aber keine juristische Durchsetzbarkeit gibt. Der AdR hat insgesamt 317 Mitglieder; für Slowenien sitzen 7 Mitglieder im AdR. Diese sowie deren sieben Stellvertreter werden vom Verband der Gemeinden und Städte sowie vom slowenischen Gemeindeverband ernannt.
[18] Constitutional Act Amending Articles 121, 140 and 143 of the Constitution of the Republic of Slovenia, adopted on 20 Jume 2006 and entered into force on 27 June 2006 (Official Gazette of the Republic of Slovenia No. 68/06). Vor der Verfassungsänderung konnten die Gemeinden selbständig entscheiden, ob sie sich zu „überlokalen Selbstverwaltungsgemeinschaften“ zusammenschließen wollen. Vgl. die deutsche (alte) und englische (neue) Fassung der Verfassung der Republik Slowenien. In URL: http://www.us-rs.si/en/index.php?sv_path=6,17&itlang=_L2 [Stand: 01.09.2006] bzw. http://www.usrs.si/en/index.php?sv_path=6,17&itlang=_L1 [Stand: 01.09.2006].
[19] Eine englischsprachige Version ist unter URL http://unpan1.un.org/intradoc/groups/public/documents/UNTC/UNPAN015739.mht [Stand: 01.09.2006] abrufbar.
[20] Zahlstelle für die EU-Mittel bleibt aber weiterhin das Finanzministerium.
[21] Die slowenische Fassung des Gesetzes ist online unter URL http://www.svlr.gov.si/index.php?id=592 [Stand: 01.08.2006].
[22] Ursprünglich ein für Polen und Ungarn gedachtes Beitrittsförderprogramm; später jedoch auf andere Beitrittskandidaten ausgeweitet. Vgl. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31989
R3906:DE:HTML [Stand: 01.06.2006]
[23] Vgl. http://ec.europa.eu/comm/europeaid/tender/data/d74/AOF36574.htm [Stand: 01.08.2006]
[24] Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1267/1999 des Rates vom 21. Juni 1999 in URL http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/1999/l_161/l_16119990626de00730086.pdf [Stand: 01.06.2006]
[25] Ebd., S. 3.
[26] Eine Übersicht aller geförderten Projekte unter URL http://ec.europa.eu/regional_policy/funds/ispa/pdf/projects_sector_en.pdf [Stand: 01.08.2006]
[27] In URL: http://ec.europa.eu/regional_policy/projects/stories/details.cfm?pay=SI&the=5&sto=982&lan=3 [Stand: 01.08.2006]
[28] Vgl. Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1268/1999 in URL: http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/1999/l_161/l_16119990626de00870093.pdf [Stand: 01.08.2006]
[29] Vgl. Annex to the SAPARD Annual Report Year 2004, in URL: http://register.consilium.eu.int/pdf/en/05/st14/st14011-ad01.en05.pdf [Stand: 01.08.2006]. Eine – wenn auch nicht sehr praktische – Übersicht über die Ausgaben im Rahmen von SAPARD findet sich auf URL http://www.arsktrp.gov.si/fileadmin/arsktrp.gov.si/pageuploads/SRP/Prejemniki_sredstev_SAPARD__30_4_2004_.pdf [Stand: 01.08.2006].
[30] Vgl. Bundeskanzleramt Österreich und Javna agencija RS za regionalni razvoj (Hrsg.): slovenija – österreich, Wien, Ljubljana 2004. URL: http://www.at-si.net/data/interreg_si_at.pdf [Stand: 01.08.2006]
[31] Vgl. http://ec.europa.eu/regional_policy/atlas/slovenia/factsheets/pdf/fact_si_en.pdf [Stand: 01.08.2006]
[32] Ausführlicher dazu in Becker, Peter: Mehr Geld für Europa.
[33] Vgl. VERORDNUNG (EG) Nr. 1083/2006 DES RATES vom 11. Juli 2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1260/1999, S. 36ff. In: URL: http://ec.europa.eu/regional_policy/sources/docoffic/official/regulation/pdf/2007/general/ce_1083(2006)_de.pdf
[Stand: 01.08.2006]
[34] Siehe auch http://www.eib.org/site/index.asp?designation=jaspers [Stand: 01.08.2006]
[35] in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften C 325 vom 24.12.2002, S.140 in URL: http://europa.eu.int/eur-lex/lex/de/treaties/index.htm [Stand: 01.08.2006]
[36] in: Beschluss des Rates vom 29. September 2000 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften, in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 253 vom 7.10.2000, S. 42-46. In URL: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/2000/l_253/l_25320001007de00420046.pdf [Stand: 01.08.2006]
[37] In URL: http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/06/st07/st07241.de06.pdf [Stand: 01.08.2006]
[38] Vgl. http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2005/12/2005-12-15-der-briten-rabatt-.html [Stand: 01.08.2006]
[39] Eine gute Übersicht in: Die Kohäsion am Wendepunkt 2007, S. 8 unter URL: http://ec.europa.eu/regional_policy/sources/docgener/informat/reg2007_de.pdf [Stand: 01.08.2006]

Der Putsch im August 1991 - Ursachen, Verlauf, Folgen, Wahrnehmung

(Stand November 2004)

1. Einleitung


Gerade in der aktuellen Debatte um den 15. Jahrestag der Öffnung der Berliner Mauer wurden die dramatischen Ereignisse des Zusammenbruchs der DDR und damit des Ostblocks eindrücklich vor Augen geführt. Mit der Öffnung der innerdeutschen Grenze und der Zustimmung der Alliierten in den „2+4“-Gesprächen war das Ende der Konfrontation zwischen Ost und West abzusehen. Gerade Michail Gorbačev als Präsident der UdSSR war ein entschiedener Befürworter der deutschen Einigung. Mit dieser Position untersetzte er die von ihm seit seinem Machtantritt 1985 begonnene Politik von Glasnost’ und Perestrojka, die auch außenpolitisch, z.B. durch die Pariser Charta, auf eine eindeutige Deeskalationsstrategie gegenüber den USA und ihren Verbündeten gezielt hatte. Das endgültige Ende des Ost-West-Konfliktes wurde eingeleitet durch die zunehmenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erosionserscheinungen in der UdSSR, die ihren nach außen sichtbaren Höhepunkt im Zerfall in einzelne Staaten erreichte. Dabei ist der Putsch vom August 1991, in dessen Folge Gorbačev von seinem Amt als Generalsekretär des ZK der KPdSU und später als Präsident der UdSSR zurücktrat, ein entscheidendes Datum.

In der folgenden Arbeit soll dieser Staatsstreich im Mittelpunkt stehen. Ausgehend von einer kurzen Analyse der Perestrojka-Politik sollen die Hintergründe und auch die warnenden Anzeichen unmittelbar vor dem Putsch beschrieben werden. In einem weiteren Schritt sollen die Ereignisse der Augusttage beleuchtet werden, um sie im Anschluss aus der Sicht ausgewählter Hauptakteure zu bewerten. Dabei stützt sich diese Arbeit in erster Linie auf die in Deutschland und Russland veröffentlichte wissenschaftliche Literatur. Besonderer Wert wurde auf die Auswertung der veröffentlichten Erinnerungen, insbesondere von Michail Gorbačev, Boris El’cin und Eduard Ševardnadse gelegt. Die Auswahl der Akteure erfolgte vor allen Dingen aus dem Wissen der in den Biographien zu Tage tretenden Rivalitäten zwischen ihnen.

Die dabei auftretenden methodischen Probleme, die daher rühren, dass insbesondere die Arbeiten von Gorbačev und El’cin erst einige Jahre nach dem Putsch publiziert wurden und damit die Authentizität der beschriebenen Ereignisse einer späteren Bewertung ausgesetzt ist, ist ein generelles Problem der Analyse von zeitgeschichtlichen Problemen.

2. Die Politik der Perestrojka

2.1 Die Person M.S. Gorbačevs

Michail Sergeevič Gorbačev wird am 2. März 1931 im Dorf Privol’noe in der Region Stavropol geboren.[1] Er studiert von 1950 bis 1955 in Moskau Rechtswissenschaften, anschließend in Stavropol Agrarwissenschaften. Er durchläuft alle Stufen der Parteikarriereleiter – und dies in relativ kurzer Zeit –, ist Funktionär bei der Komsomol, dann bei der KPdSU[2]. Im Jahre 1970 wird er Erster Sekretär der Kommunistischen Partei in der Region Stavropol. Als zuständigen Sekretär für Landwirtschaftsfragen beruft ihn Leonid Brežnev[3] am 27. November 1978 in das ZK[4] der KPdSU nach Moskau. Ein Jahr später wird Gorbačev Kandidat und 1980 dann Vollmitglied des Politbüro.[5] Nach den kurz aufeinander folgenden Toden der Parteichefs Brežnev, Andropov[6] und Černenko[7] wird M.S. Gorbačev am 11. März 1985 zum (jüngsten) Generalsekretär der KPdSU gewählt und zum Begründer einer Epoche, die in die Geschichte als Perestrojka eingeht.

2.2 Perestrojka – Der Umbau des Staates

Auf die Perestrojka-Politik M.S. Gorbačevs kann an dieser Stelle nur verkürzt eingegangen werden.[8] Ich beschränke mich dabei auf wesentliche Etappen und Ereignisse und versuche kurz, Tendenzen zu skizzieren.

Ausgehend vom Wort перестройка sollte sich das sowjetische Leben einem tief greifenden Umbau unterziehen. Ziel sollte es sein, die Sowjetunion zu einem modernen Staat zu wandeln. Dabei sollte aber weder der Staat an sich noch die Partei in Frage gestellt oder gar aufgelöst werden. Vielmehr sollte die Partei, mittels der ihr durch die Verfassung garantierten Stellung, die Antriebskraft dieses Umbaus sein, mit M.S. Gorbačev an ihrer Spitze.

Die ersten beiden Jahren der Regierungszeit Gorbačevs waren von administrativen Veränderungen an der Oberfläche gekennzeichnet: Bildung von so genannten Superministerien im Wirtschaftsapparat auf Unionsebene, Auswechslung von Mitgliedern der Regierung, neue Parteichefs in den Unionsrepubliken, Gebieten, Regionen und Autonomen Republiken. Dies diente freilich dazu, die Machtstellung des Generalsekretärs auszubauen und zu konsolidieren.[9] Es folgten Maßnahmen um die wirtschaftliche Lage zu verbessern, z.B. Disziplinierungsmaßnahmen am Arbeitsplatz[10], jedoch waren diese nicht vom erhofften Erfolg gekrönt.

Die Perestrojka sollte nicht nur in der Politik und Wirtschaft vollzogen werden, sondern auch die soziale Ebene erfassen. Mit Hilfe von Glasnost’[11] sollten die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Zustände im Lande beschrieben und natürlich auch kritisiert werden. Auch machte es Glasnost’ möglich, dass kritisch über die Geschichte der KPdSU und der Sowjetunion geschrieben werden konnte. Dies führte allmählich dazu, dass nicht nur Stalin, sondern auch Lenin und somit die Staatsideologie in Frage gestellt wurden. Daher wurde im Zuge der 70-Jahr-Feiern der Oktoberrevolution 1989 von der Glasnost’-Politik Abstand genommen. Auch stockte die Perestrojka zu dieser Zeit im Allgemeinen; dies hängt ursächlich mit dem Zerfallen der Kommunistischen Systeme in Osteuropa zusammen.

Mit der 28. Parteitagung der KPdSU im Juli 1990 trat jedoch die Perestrojka- und Glasnost’-Politik in eine neue Phase. Gorbačev wollte seinen Reformkurs weiter fortführen und setzte aus diesem Grund umfangreiche Neubesetzungen im Politbüro durch.

Wie sehr sich jedoch schon die UdSSR und die führende Partei in einer veränderten Situation befanden, zeigt die Tatsache, dass M.S. Gorbačev auf dem Februar-Plenum des ZK im Jahre 1990 den Verzicht auf die Vormachtstellung der KPdSU vorschlug: die Abschaffung des Artikel 6 der Verfassung der UdSSR.[12]

Für die Perestrojka gab es keinen ausgearbeiteten Plan. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie diversen Schwankungen unterlag. Dies ging sogar so weit, dass sich Gorbačev mal diesem, mal jenem Flügel der Partei anschloss und so zwischen den Reformern und den Konservativen hin- und herschwankte. So hoffte er, indem er Konservative mit in die Regierungsverantwortung nahm, auf Akzeptanz seiner Reformen in eben den konservativen Kreisen.[13] Schließlich und endgültig schlug sich Gorbačev auf die Seite der Reformer und leitete im April 1991 den so genannten Prozess von Novo-Ogarevo ein. Damit trat die Perestrojka in ihre letzte Phase, die jäh durch die Ereignisse des Putsches beendet wurde.

Ein Fazit der Perestrojka-Politik zu geben, ist nicht ganz einfach. Aus wirtschaftlicher Sicht gesehen ist sie gewiss ein katastrophaler Fehlschlag. Alle diesbezüglichen Reformbemühungen schlugen fehl. Dies musste zwangsläufig so geschehen, da die KPdSU bis 1990 nicht bereit war, ihre allumfassende Führungsrolle aufzugeben und damit von der Plan- zur Marktwirtschaft überzugehen. Einzelne marktwirtschaftliche Elemente in die Planwirtschaft zu integrieren war nur ein halbherziger Versuch einer Wirtschaftsreform und konnte nicht funktionieren. Jedoch kann es als großes Verdienst M.S. Gorbačevs angesehen werden, dass er einen Prozess einleitete, der zu einem tief greifenden gesellschaftlichen Wandel, nicht nur in der Sowjetunion, sondern in ganz Osteuropa führte, in dessen Ergebnis das Ende des Kalten Krieges und somit des Ost-West-Konfliktes stand.

Da nun aber das Einflussgebiet der Sowjetunion – Osteuropa – wegfiel, drohte die Sowjetunion von ihren Rändern aus zu zerbrechen. So ist es nicht verwunderlich, dass gerade die baltischen Staaten ihre Unabhängigkeit von der Union erklärten[14] und somit einen Prozess in Gang setzten, der nur das Ende der Union als solche zur Folge haben konnte.

2.3 Am Vorabend des Putsches

Am 23. April 1991 kam es zu einer erneuten Initiative, die Union zu retten.[15] Dies war nötig geworden, nach dem ein „Krieg der Gesetze“ das politische Leben der Union und ihrer Teilrepubliken lähmte.[16] Der so genannte Novo-Ogarevo-Prozess[17] wurde ins Leben gerufen. An ihm beteiligten sich sowohl M.S. Gorbačev als auch die politischen Führer der neun Unionsrepubliken Russland, Weißrussland/Belarus, Ukraine, Azerbajdžan, Kasachstan, Kirgisien, Usbekistan, Tadžikistan und Turkmenistan.[18] Vertreter Armeniens, Georgiens, Moldaviens und der baltischen Staaten nahmen daran nicht teil, denn sie wollten nicht Objekte einer neuen wie auch immer gearteten Union sein, sondern souveräne, unabhängige Staaten.

Der neue in naher Zukunft abzuschließende Unionsvertrag[19] sah für die beitrittswilligen Republiken vor, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken als eine Union der Souveränen Sowjetrepubliken zu erhalten. Er beinhaltete auch ein Recht auf Austritt aus der Union. Gleichzeitig sollten die Republiken einen gemeinsamen Wirtschaftsraum bilden; die Steuerhoheit bei den einzelnen Republiken liegen, jedoch die Außen- und Verteidigungspolitik von einer Zentralregierung bestimmt werden.[20]

Der Versuch, mit diesem Vertrag die Sowjetunion mit wesentlichen Änderungen (z.B. veränderte Kompetenzen auf Unions- und Republikebene) zu erhalten, rief allerdings die Konservativen, vor allem aus der KPdSU, hervor, die die Sowjetunion als Ganzes und Unteilbares ansahen. Mehr oder weniger offen forderten sie Gorbačev zum Rücktritt, oder wenigstens zum endgültigen Verlassen des Reformweges und somit zum Erhalt der Macht der KPdSU und der Sowjetunion zu zwingen. Stellvertretend sei hierfür der am 23. Juli 1991 in der Sovetskaja Rossija erschienende Beitrag „Ein Wort an das Volk“[21] zu nennen. In ihm forderten die Unterzeichner[22], die der Parlamentariergruppe „Sojus“[23] angehörten, zwar verhüllend und ohne konkrete Namen zu nennen, die „Errettung des Staates [...] des Vaterlands“[24]. Jedoch wurde auch unmissverständlich geschrieben, dass brennende Haus Sowjetunion „mit unserem Blut [zu] löschen.“[25] Aus den Reihen der Unterzeichner kamen zwei der späteren Mitglieder des Notstandskomitees.

Dies ist nur ein Beispiel dafür, dass Gorbačev die Macht aus den Händen zu verlieren drohte. Ein anderes ist das Verhalten von Premierminister Pavlov. Dieser forderte auf einer Sitzung des Obersten Sowjets am 17. Juni 1991 – ohne Gorbačev vorher zu konsultieren – weitere Machtbefugnisse, die er auch erhielt.[26]

Erwähnt werden soll an dieser Stelle auch die Tatsache, dass Gorbačev in zunehmendem Maße auf die Mitwirkung der KPdSU und ihrer Institutionen bei der Neugestaltung der Sowjetunion verzichtete.[27] Wie sehr sich auch die KPdSU (und damit die Sowjetunion) im Zerfall befand, belegt die Tatsache, dass die Unabhängigkeitserklärungen der einzelnen Sowjetrepubliken fast ausnahmslos von den jeweiligen Obersten Sowjets, in denen die Kommunistische Partei die Mehrheiten besaß, ausgesprochen wurden.[28] Zu allem Überfluss verbot El’cin am 20. Juli 1991 per Ukaz die Arbeit aller Parteien in staatlichen Institutionen und Unternehmen in der Russländischen Föderation.[29] So ist es nicht verwunderlich, dass dem Notstandskomitee Spitzenvertreter der Partei angehörten.[30]

3. Der Putsch

Im Wesentlichen konzentriere ich mich hierbei auf die Ereignisse in Moskau und in Foros auf der Krim: die Aktivitäten der auf Seiten der Putschisten politisch Handelnden, die demokratische Kräfte um Boris El’cin und das Volk sowie die Ereignisse um Gorbačev in Foros.

Zwar gab es auch in anderen Städten, wie z.B. Leningrad oder Sverdlovsk Demonstrationen[31]; jedoch kann m.E. deren Bedeutung an dieser Stelle vernachlässigt werden, weil Moskau das politische Zentrum war, dort befanden sich die Putschisten und daher konnte der Putsch nur dort niedergeschlagen werden.

3.1 Verlauf

Am Sonntag, 18. August 1991 kommen gegen 17.00 Uhr Baklanov[32], Šenin[33], Boldin[34], Varennikov[35], Plechanov[36] und andere ungebeten zu Besuch nach Foros. Sie stellen Gorbačev vor ein Ultimatum: er solle den Notstand und ein Staatliches Notstandskomitee verkünden oder zurücktreten. Beide Forderungen weist dieser jedoch zurück und so muss die Abordnung der Putschisten unverrichteter Dinge wieder abreisen. Gleichzeitig wird der Präsident aber in seinem Feriendomizil festgesetzt; die Kommunikationsleitungen werden gekappt und das Anwesen von putschistentreuen Truppen bewacht.

Montag, 19. August 1991: Seit dem frühen Morgen wird über Rundfunk und Fernsehen von der Ausrufung des Notstandes und der Gründung eines Staatskomitee für den Ausnahmezustand (GKČP)[37] berichtet. Ihm gehören Gennadij Janaev[38], Valentin Pavlov[39], Oleg Baklanov, Vladimir Krjučkov[40], Boris Pugo[41], Aleksandr Tizjakov[42], Dmitrij Jazov[43] und Vasilij Starodubcev[44] an. Das Komitee fühlt sich zu diesem Schritt gezwungen, da in der Sowjetunion Chaos, Anarchie und eine tiefe Krise herrschen. Im Interesse aller Menschen der Sowjetunion wird für eine Zeit von sechs Monaten der Ausnahmezustand ausgerufen, damit in dieser Zeit notwendige Maßnahmen ergriffen werden können, eine nationale Katastrophe zu verhindern.[45]

Daher erklärt das Komitee den rechtmäßigen Präsidenten der Sowjetunion aus gesundheitlichen Gründen für abgesetzt und der Vizepräsident übernimmt die Amtsgeschäfte. Die Medien werden unter die Kontrolle des GKČP gestellt, die Radio-Station „Echo von Moskau“ wird von Einheiten des KGB besetzt, Löhne und Preise werden eingefroren; es ergeht ein allgemeines Parteien- und Demonstrationsverbot. Sogleich rollen schwer bewaffnete Militäreinheiten ins Moskauer Stadtzentrum, der Rote Platz wird von Sondertruppen abgesperrt. Fernsehen und Radio senden diverse Anordnungen des GKČP.

Jedoch formiert sich auch der Widerstand gegen diesen offensichtlichen Putsch. Zu ihrer Galionsfigur wird der erste demokratisch gewählte Präsident Russlands (damals noch RSFSR) Boris Nikolaevič El’cin. Er erklärt die Ereignisse zu einem „verfassungswidrigen, reaktionären Staatsstreich“ und ruft die Bevölkerung zu einem Generalstreik auf. In seinem Amtssitz, dem so genannten Weißen Haus, organisiert er mit Abgeordneten des russischen Parlaments den Widerstand und unterstellt Teile der sowjetischen Exekutivorgane unter seinen Befehl. Einige Truppenteile folgen diesem Schritt und wechseln auf El’cins Seite über. Legendär wird El’cins Auftritt auf einem Panzer, bei dem er die Bevölkerung zum Widerstand aufruft.

Vor den Türen des Weißen Hauses beginnen Bürger Moskaus mit dem Bau von Barrikaden, um die Volksvertreter vor möglichen Verhaftungen durch Putschistentruppen zu schützen. Im Stadtzentrum kommt es – trotz Verhängung des landesweiten Ausnahmezustands – zu ersten zaghaften Demonstrationen gegen den Staatsstreich.

In Foros wird Gorbačev nun auch von der See aus isoliert; Kriegsschiffe patrouillieren in der Bucht. Seine Forderungen nach Wiederherstellung der Kommunikationsinfrastruktur und einem Flugzeug – ursprünglich wollte er ja zur Unterzeichnung des neuen Unionsvertrages nach Moskau fliegen – bleiben unbeantwortet. Da es seinem Schwiegersohn gelungen ist, mit Hilfe eines alten Transistorradios ausländische Radiostationen und somit aktuelle Nachrichten – u.a. von der Absetzung des Präsidenten aus gesundheitlichen Gründen – zu empfangen, wird eine Video-Botschaft aufgenommen, in der Gorbačev erklärt, dass er gesund ist, die Beschlüsse des GKČP null und nichtig sind und das Luk’janov[46] den Volksdeputierten-Kongress einberufen soll. Das Video sollte irgendwie nach draußen geschmuggelt werden; dies gelang jedoch nicht, es konnte daher erst nach dem Ende des Putsches gezeigt werden.

Dienstag, 20. August 1991: Gegen Boris El’cin verfügt das GKČP einen Haftbefehl[47], aber er wird nicht vollstreckt. Vielmehr stellen El’cin und Silaev[48] einen Katalog mit Forderungen zusammen, der Luk’janov übergeben werden soll; unter anderem wird die Auflösung des Notstandskomitees und seiner Beschlüsse, eine unabhängiges medizinisches Gutachten über den Gesundheitszustand von M.S. Gorbačev und ein Treffen mit dem Präsidenten der UdSSR gefordert. Doch der Vorsitzende des Obersten Sowjets der UdSSR schweigt und bleibt in der Zeit des gesamten Putsches tatenlos. Inzwischen verschärft sich die Situation im Stadtzentrum – Demonstrationen mit mehreren Tausend Menschen finden statt –, so dass der Patriarch Aleksej II. aufruft, kein Blut zu vergießen. Dem Appell El’cins zur Verteidigung des russischen Parlaments folgen Hunderte Freiwilliger und bauen die Barrikaden am Weißen Haus und im Stadtzentrum aus. Dadurch kann der erwartete Sturm der Armee und von Spezialeinheiten des KGB auf das russische Parlament verhindert werden. Der Militärkommandant von Moskau Nikolaj Kalinin verhängt zwar eine Ausgangssperre von 23.00 Uhr bis 5.00 Uhr am darauf folgenden Tag, jedoch wird diese nicht eingehalten und Demonstranten verharren auch in dieser Nacht an Ort und Stelle.

Derweil ist die Situation in Foros unverändert. Zwar wiederholt Gorbačev seine Forderungen vom Vortag, jedoch bleiben auch diese wieder unbeantwortet. Auch wird verwehrt, die Wahrheit über seinen Gesundheitszustand in den Medien zu berichten. Somit ist Gorbačev weiterhin zum Nichtstun verurteilt.

Am frühen Morgen des 21. August 1991, kurz nach Mitternacht, eskaliert die Situation in Moskau. Etwa 70 Panzer von KGB-Einheiten fahren in Richtung des Weißen Hauses. Dabei werden sie auf dem Kalinin-Prospekt von Demonstranten an der Weiterfahrt gehindert und mit Molotov-Cocktails beworfen. Es kommt zu Schüssen auf die Demonstranten, drei von ihnen sterben.[49] Am Tage fordert das Parlament Russlands in einer außerordentlichen Sitzung die Freilassung des sowjetischen Präsidenten und stellt den Putschisten das Ultimatum, das Staatliche Notstandskomitee bis 22.00 Uhr aufzulösen. Nun erst, meldet sich die Partei zu Wort, indem der stellvertretende Generalsekretär der KPdSU Ivaško[50] von den Putschisten fordert, man müsse Kontakt zum Generalsekretär herstellen. Auch der Oberste Sowjet der UdSSR meldet sich nun und erklärt die Amtsenthebung Gorbačevs für illegal und fordert Janaev auf, „seine Erlasse und die auf ihnen basierenden Beschlüsse zum Ausnahmezustand zurückzunehmen.“[51] Gegen 14.00 Uhr verlassen Krjučkov, Jazov und Tizjakov, wohl nun endgültig wissend, dass dieser Putsch zum Scheitern verurteilt ist, Moskau und fliegen zur Krim. Nur wenig später folgen ihnen mit Ruckoj[52], Silaev, Bakatin[53], Primakov[54] und anderen eine Abordnung des russischen Parlaments, die zum einen Kontakt zu Gorbačev aufnehmen, zum anderen die sich absetzenden Putschisten verhaften soll. Zwar gelingt es den Putschisten, als erstes auf die Krim zu gelangen, doch werden sie von Gorbačev nicht empfangen. Gegen 17.00 Uhr zieht der aufgebotene Militärkoloss aus Moskaus Zentrum ab.[55]

Auf der Krim hört Gorbačevs Tochter im Radio, dass Krjučkov zugestimmt habe, dass eine „Delegation“ auf die Krim fliegt, um sich vom schlechten Gesundheitszustand des Präsidenten zu überzeugen. Dies nimmt man in Foros zum Anlass, man rechnet mit dem Schlimmsten (z.B. dass nun versucht wird, dem Präsidenten Schaden zuzufügen oder ihn tatsächlich als amtsunfähig erscheinen zu lassen), die Zufahrt zum Haus zu sperren, und niemanden hereinzulassen. Gegen 17.45 Uhr wird die Isolierung der Kommunikationsnetze aufgehoben, so dass Gorbačev mit Jelzin und weiteren Führern der anderen Sowjetrepubliken telefonieren kann. Die Putschisten, die aus unerklärlichen Gründen auf die Krim gereist sind, werden nicht von Gorbačev empfangen und stattdessen von der russischen Abordnung unter Führung Ruckojs verhaftet. Der Putsch ist vorbei. Spät abends gegen 23.00 Uhr fliegt M.S. Gorbacev mit seiner Familie sowie den russischen Abgeordneten als auch mit den Putschisten in einer Maschine nach Moskau.

Dort kommt er gegen 2.00 Uhr am Donnerstag, 22. August 1991 an. Die schon Verhafteten werden zum Staatsanwalt gebracht. Im Verlaufe des Morgens werden weitere Putschisten festgenommen: der betrunkene Janaev[56] im Kreml, Pavlov im Krankenhaus. Pugo entzieht sich seiner Verhaftung durch Selbstmord. Starodubcev, Baklanov und andere können erst Tage später verhaftet werden, nachdem der Oberste Sowjet deren Immunität aufgehoben hat.

Gegen Mittag findet vor dem Weißen Haus eine Großdemonstration statt, auf der der Sieg der Demokraten um Boris El’cin über die Putschisten gefeiert wird. Symbolträchtig wird die weiß-blau-rote Flagge des Widerstandes gegen die Putschisten zur neuen Staatsflagge Russlands. Jedoch erscheint hier M.S. Gorbačev nicht; vielmehr hält er am Abend des gleichen Tages eine Pressekonferenz ab, auf der er zwar El’cin und diejenigen, die das Weiße Haus und somit die Demokratie (und auch ihn) verteidigten, ausdrücklich dankt und den Putsch verurteilt, er jedoch weiter an der Reformierbarkeit der KPdSU festhält. Dies sollte sich im Nachhinein als Fehler in zweifacher Hinsicht herausstellen.

3.2 Konsequenzen

Die Konsequenzen, die dieser Putsch auslöste, waren von einer rasend schnellen Dynamik auf allen Ebenen des sowjetischen Lebens gekennzeichnet.

Die UdSSR als Staatswesen. Noch während und nach dem Putsch erklären fast alle Unionsrepubliken ihre Souveränität[57] und entziehen somit dieser Union ihre Lebensgrundlage.[58] Aufgrund einer noch fehlenden neuen Vereinbarung zwischen den Staaten, bleibt der „Krieg der Gesetze“ bestehen, jedoch gibt es keine Zentralmacht mehr, die die Unionsgesetze umsetzen kann. Im Übrigen besteht diese Union faktisch nur noch auf dem Papier; eine Zentralregierung ist nicht mehr handlungsfähig, was einer Quasi-Auflösung der UdSSR gleichkommt. Auch der Volksdeputiertenkongress der Sowjetunion beschließt am 5. September 1991 seine Auflösung und schlägt stattdessen die Gründung einer Union der Souveränen Staaten vor. Zwar wird unter Federführung von Gorbačev und El’cin an einem neuen Unionsvertrag mit einem Vertrag über eine Wirtschaftsgemeinschaft[59] weiter gearbeitet. Jedoch ist es Boris El’cin, der sich mit den Führern Weißrusslands und der Ukraine[60] trifft und in Viskuli (Belovežsker Forst) nahe Brest die Gründungsakte der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) unterschreibt und somit einer wie auch immer gearteten neuen Union den Todesstoß versetzt.

Da es nun keine funktionierende Zentralregierung mehr gibt, können auch die überwunden geglaubten Nationalitätenkonflikte, besonders im Kaukasus, wieder aufflammen.

Die KPdSU. Schon am 23.8. unterschreibt Boris El’cin – demonstrativ während einer Rede Gorbačevs vor dem russischen Parlament – ein Ukaz, dass die Aktivitäten der kommunistischen Partei bis zur Klärung ihrer Verstrickung in den Putsch untersagt. Einen Tag später tritt M.S. Gorbačev von seinem Amt als Generalsekretär des ZK der KPdSU zurück und empfiehlt der Partei die Selbstauflösung. Wiederum per russischen Präsidialukaz fällt das Eigentum der KPdSU der Regierung Russlands zu. Am 29.8. wird die Einstellung der Aktivitäten der Partei auf dem gesamten Territorium der UdSSR durch den Obersten Sowjet beschlossen.

Die Wirtschaft. Das Wirtschaftssystem der Union fällt in sich zusammen. Mit der Einstellung der Arbeit der KPdSU verliert die Wirtschaftspolitik der Union ihre Gestalterin. Somit nimmt das Dilemma der Gleichzeitigkeit von politischer und wirtschaftlicher Transformation[61] seinen Lauf. Alle Versuche seitens Gorbačev, mit halbherzigen marktwirtschaftlichen Elementen die Planwirtschaft zu reformieren, schlagen fehl. Diesbezüglich hat die Perestrojka-Politik auf ganzer Linie versagt. Daran kann auch die Bildung eines „Komitees für die Leitung der Wirtschaft“[62] – als eine Art Unionsexekutive für die Wirtschaft – nichts mehr ändern.

3.3 Wahrnehmung

Michail Gorbačev

Die Perestrojka-Politik, das Neue Denken, die Umwandlung des Landes in eine lebensfähige demokratische Föderation ist das Lebenswerk Gorbačevs. Der Putsch zerstörte diese Politik endgültig, als sie in die Tat umgesetzt werden sollte.

Zwar hielt Gorbačev bis zum Schluss daran fest[63], jedoch verschloss er seine Augen vor der Realität: die KPdSU war nicht reformierbar. So fühlt er sich denn auch von der Führungselite der Partei und einem Großteil der Parteinomenklatura verraten.[64] Vor allem hat das Zentralkomitee der KPdSU versagt, indem es „sich im Grunde genommen mit dem Notstandskomitee solidarisiert hatte.“[65] Aber auch er muss zu dem Schluss kommen, dass der „Zerfall der KPdSU […] unvermeidlich“ war und dass die Partei die politische Bühne räumen musste.[66]

Ohne jedoch die Putschisten all zu hart zu verurteilen, spricht er von „politischer Blindheit und Beschränktheit“ der Mitglieder des Staatlichen Notstandskomitees, „die von eigennützigen Interessen bestimmt“, handelten.[67]

Jedoch hatte sein alter Studienkollege Luk’janov besonders große Schuld auf sich geladen, in dem als Vorsitzender des Obersten Sowjets nicht sofort handelte und eine Sitzung des Obersten Sowjets einberief. Sein Schweigen ermöglichte es dem GKČP, für einige Tage handeln zu können.[68]

Gorbačev wollte jedoch seine Hoffnung in Bezug auf die Neugestaltung der Union noch nicht aufgeben, und so war es aber s.E. Boris El’cin, der die Konsequenzen aus dem Putsch zog und zuerst die Partei – „Jelzin handelte mit sadistischer Lust“[69] – verbot und dann in „Heimtücke“[70] mit den Führern Weißrusslands und der Ukraine die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zu Grabe trug.

Boris El’cin

Für Boris El’cin bedeuten die Tage im August 1991 den Zusammenbruch eines Imperiums, dem globale Bedeutung zukommt.[71] Damit wurde der Kommunismus im 20. Jahrhundert geschlagen. Er vergleicht diese Ereignisse mit der Entmachtung Chruščevs im Jahre 1964. Auch damals hatten sich die Leute an der Seite des Generalsekretärs der KPdSU gegen den Machthaber verschworen und gestürzt. Jedoch unterlässt es El’cin nicht, laut darüber zu spekulieren, das Gorbačev selbst in Putsch als Handelnder verwickelt sein könnte; „andere machten sich die Hände schmutzig, um für ihn den Weg frei zu räumen, und er konnte in ein gleichsam über Nacht verändertes Land zurückkehren. […] Man hätte mit einem Schlag alle Probleme gelöst.“[72]

El’cin ist davon überzeugt, dass die Putschisten die Wirklichkeit verkannten, dass sie nicht wussten, was wirklich in Moskau und im ganzen Land vor sich ging. Er kommt zu dem Schluss, dass das GKČP „weder über einen Führer nach innen noch wenigstens über einen nach außen“[73] verfügte, es fehlte sozusagen „‚ein teuflisches Genie’“.[74] Keiner der Putschisten wollte Verantwortung für sein Handeln übernehmen, sondern nur Verantwortung im Rahmen des Staatskomitees; ihre Unentschlossenheit war ein Grund dafür, dass der Putsch misslang. Ein weiterer Grund war aber im Gegenzug die Entschlossenheit des Volkes, dass genau erkannte, dass ein Staatsstreich gegen Gorbačev stattgefunden hatte. Es waren die unzähligen Leute, die die Barrikaden vor dem Weißen Haus und anderswo bauten und sich hinter ihnen verschanzten, die unzähligen Leute, die die Beschützer der Demokratie und die übergelaufenen Soldaten mit Essen und Trinken versorgten, die Tag und Nacht in den Straßen Moskaus ausharrten. Gorbačev, für den El’cin immer ein politischer Gegner war und bleibt, gibt er eine große Mitschuld an den Ereignissen. Im Grunde genommen, war „der Sturz in den Abgrund“ schon seit der Zeit, als Gorbačev Pugo, Janaev und die anderen in verantwortliche Positionen bestellte, „unabwendbar“.[75] Ja, Gorbačev „grub sich […] selbst die Grube […]. Da er sie mit umfangreichen Vollmachten ausstattete, regte er sie zu einer entschiedenen Kursänderung an“.[76] Zwangsläufig musste es also zu einem Putsch kommen.

Eduard Ševardnadse

Bereits kurz nach dem Ende der Verschwörung brachte er seine Gedanken zu Papier. Jedoch gehörte er auch zu denjenigen aus dem Umfeld Gorbačevs, die schon frühzeitig vor einem Absinken in eine Diktatur gewarnt hatten.[77] Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch er M.S. Gorbačev eine Mitschuld an den Ereignissen im August 1991 gibt.

Ja, er findet sogar drastische Worte dafür, indem er sagt, dass „kein anderer, sondern er selbst [...] die Junta hochgepäppelt [hat] durch seine Fahrlässigkeit, seine Unentschlossenheit und seine Neigung zum Lavieren, durch seinen Mangel an Menschenkenntnis, durch seine Gleichgültigkeit gegenüber seinen wahren Kampfgefährten …“[78] Eben deshalb ist Ševardnadse auch von seinem Amt als Außenminister der Sowjetunion schon im Dezember 1990 zurückgetreten.

Auch hätte Gorbačev die unverhohlen offenen Anzeichen seines schwindenden Machteinflusses erkennen müssen. Dies waren z.B. die Verlegung von Panzereinheiten, die Achromeev zu verantworten hatte, hinter dem Ural – ein offensichtlicher Bruch der Pariser Charta[79] oder die Ereignisse um den abzuschließenden Freundschaftsvertrag mit Deutschland oder der schon erwähnte Versuch Pavlovs, mehr Macht an sich zu binden.

Aber auch Ševardnadse kommt zu dem Schluss, dass es ein „himmelschreiender, ungesetzlicher, verfassungswidriger Sturz des gesetzlichen Präsidenten“ gewesen ist und das letztendlich „diejenigen den Präsidenten geschützt, die er [Gorbačev] verraten, denen er mitraut hat: Boris Jelzin, das Volk Russlands und Moskaus, die demokratischen Bewegungen und Parteien, seine ehemaligen Kampfgefährten“.[80]

Im Rahmen dieser Arbeit konnten die Wahrnehmungen und Meinungen der Putschisten nicht berücksichtigt werden. Jedoch sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass einige der am Putsch Beteiligten in den nachfolgenden Jahren Bücher[81] veröffentlichten, in denen sie sich und ihre Taten zu rechtfertigen versuchten; auch versuchten sie, ihre Beteiligung am Putsch herunterspielen oder ihren „Mitstreitern“ die volle Verantwortung zuzuschreiben.[82] Sie machten auch darauf aufmerksam, dass sie im guten Glauben handelten, die Sowjetunion (und damit auch die KPdSU), ja, ihr Lebenswerk, retten zu wollen.

Zwar wurden einige der Putschisten eingesperrt, jedoch nie rechtskräftig verurteilt; spätestens aufgrund einer Amnestie im Jahre 1994[83] waren alle Putschisten wieder frei.[84]

4. Zusammenfassung

Diesen Putsch zu bewerten, ist nicht ganz leicht. Gewiss, er verhinderte die Unterzeichnung des neuen Unionsvertrages, die für den 20.8.1991 anberaumt war. Unbestritten sind aber die negativen Konsequenzen, zu denen er führte, nämlich zum Untergang der Sowjetunion. Jedoch war der Staatsstreich im August des Jahres 1991 gewiss nicht die Ursache für den Zusammenbruch der UdSSR. Vielmehr war er dessen Anlass und die Teilrepubliken ergriffen die Gunst der Stunde und erklärten ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion, von der Zentralmacht und bereiteten somit das endgültige Aus einer zukünftigen Union Souveräner Staaten vor.

Und ganz gewiss trug Boris El’cin nicht zum Erhalt der Sowjetunion bei. Zwar erklärte Russland nicht seine Souveränität; es beanspruchte aber „vielmehr die Rechtsnachfolge der Sowjetunion“[85], was in der Folgezeit jedoch auch zu Streitigkeiten mit anderen Republiken führen sollte.[86] Die Gründung der GUS im Dezember, die die Handschrift El’cins trägt – obwohl dieser mit Gorbačev und anderen an einem neuen Unionsvertrag arbeitete – tat ihr übriges.

Es soll an dieser Stelle nicht spekuliert werden, ob der Putsch hätte verhindert werden können, jedoch muss in diesem Zusammenhang betont werden, dass es einige Anzeichen gab, die den Putsch zwar nicht unbedingt ankündigten, ihm jedoch m.E. den Weg ebneten.[87] Ähnlich wie schon in Litauen und Lettland, sollte auch in Moskau mit Hilfe eines Notstandskomitees versucht werden, die Spaltung und den Zerfall der Sowjetunion aufzuhalten. Aber genau wie im Baltikum, gelang dies nicht[88], zum einen aufgrund der Opferbereitschaft der Bevölkerung in Moskau, Leningrad (St. Petersburg) und anderen Städten, die demokratisch legitimierten Volksvertreter und ihre Institutionen mit dem eigenen Leben zu schützen; zum anderen aber auch aufgrund des umsichtigen Handelns von militärischen Entscheidungsträgern, die sich auf die Seite der demokratischen Kräfte stellten und so den Putschisten die Niederlage zufügten.

Und natürlich trug auch die Unentschlossenheit und Inkonsequenz der Putschisten dazu bei. Weder hatten sie populäre Führer noch Unterstützung aus dem Inland und nur relativ wenige im Inland. Zwar konnten sie Panzer auffahren lassen, wussten dann aber nicht weiter.[89] Dies soll gewiss keine Anerkennung einer positiven Leistung sein. Denn vielmehr waren sie es, die die Krise im August zu verantworten hatten.

Seit dem 8. Dezember 1991 gibt es die UdSSR nicht mehr.[90] An ihrer Stelle tritt die GUS[91], der am 21.12.1991 in Alma-Ata die restlichen ehemaligen Unionsrepubliken – außer Georgien und die baltischen Staaten – beitreten.

Es bleibt zu konstatieren, um es mit den Worten Torkes zu sagen, dass „der gescheiterte Putsch ungemein jenen Prozeß [beschleunigte], den er zu stoppen und rückgängig zu machen versuchte: den Vormarsch der Reformer, den Funktionsverlust der Partei [...]; die Umwandlung der Union in einen Staatenbund.“[92]

5. Literaturverzeichnis

  • Brown, Archie: Der Gorbatschow-Faktor – Wandel einer Weltmacht, Frankfurt/M. u.a. 2000
  • Delavre, Tina (Hrsg.): Der Putsch in Moskau. Berichte und Dokumente, Frankfurt/M. u.a. 1992
  • Gorbatschow, Michail: Der Staatsstreich, München 1991
  • Gorbatschow, Michail: Der Zerfall der Sowjetunion, München 1992
  • Gorbatschow, Michail: Erinnerungen, Augsburg 1995
  • Jelzin, Boris: Auf des Messers Schneide. Tagebuch des Präsidenten, Berlin 1994
  • Российское Информационное Агенство (Hrsg.): Хроника путча – Час за часом, Москва 1991
  • Ruge, Gerd: Der Putsch – Vier Tage, die die Welt veränderten, Frankfurt/Main 1991
  • Ruge, Gerd: Michail Gorbatschow – Biographie, Frankfurt/Main 1990
  • Schewardnadse, Eduard/Gurkow, Andrej/Eichwede, Wolfgang: Revolution in Moskau – Der Putsch und das Ende der Sowjetunion, Reinbek 1991
  • Schöllgen, Gregor: Geschichte der Weltpolitik von Hitler bis Gorbatschow 1941-1991, München 1996
  • Simon, Gerhard und Nadja: Verfall und Untergang des sowjetischen Imperiums, München 1993
  • Stökl, Günther: Russische Geschichte – Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 1997[6]
  • Степанков, Валентин Г./Лисов, Евгений К.: Кремлёвский заговор – Версия следствия, Москва 1992
  • Strauss, Wolfgang: Drei Tage, die die Welt erschütterten, Wesseling 1992


Endnoten

[1] Zur Biographie M.S. Gorbačevs seien hier nur stellvertretend erwähnt: Ruge, Gerd: Michail Gorbatschow, Frankfurt/Main 1990; Schmidt-Häuer, Christian: Michail Gorbatschow, München 1987; Gorbatschow, Michail: Erinnerungen, Berlin 1995.
[2] Eine graphische Darstellung seiner Partei-Karriere findet sich unter http://www.hrono.ru/biograf/gorby.html [Stand: 1.10.2004].
[3] Leonid Il’ič Brežnev (06./19.12.1906-10.11.1982), Erster Sekretär (1964-1966) bzw. Generalsekretär der KPdSU (1966-1982), Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR
[4] Zentralkomitee (ZK). Führungsgremium der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Es bestand aus etwa 14 Vollmitgliedern und einer geringeren Anzahl von Kandidaten, die meist nach dem Ableben eines Vollkandidaten nachrückten.
[5] Das Politische Büro der KPdSU war das eigentliche Führungs- und Entscheidungsorgan, sowohl der Partei als auch des Staates. Es bestand zuletzt aus 14 Vollmitgliedern und 6 Kandidaten. Es tagte meist einmal in der Woche.
[6] Jurij Vladimirovič Andropov (02./15.06.1914-09.02.1984), Generalsekretär der KPdSU, Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR
[7] Konstantin Ustinovič Černenko (11./24.09.1911-10.03.1985), Generalsekretär der KPdSU, Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR
[8] Weiterführende Literatur zu diesem Thema: Горбачев, Михаил: Перестройка и новое мышление для нашей страны и для всего мира, Москва 1987; Горбачев, Михаил: Избранные речи и статьи 1-7, Москва 1987-1990
[9] Zahlenangaben zu den vorgenommenen Personalentscheidungen finden sich bei Simon, S. 38.
[10] „Staatliche Qualitätskontrolle“, „Anti-Alkohol-Kampagne“, Vgl. Simon, S. 36
[11] Glasnost’ meint u.a. Offenheit, Öffentlichkeit, Transparenz. Damit ist noch nicht Rede- und Meinungsfreiheit gemeint, wie sie in westlichen Demokratien verstanden wird, sondern vielmehr der Versuch, über bestimmte Tatsachen, „wahrheitsgemäß“ zu berichten. Vgl. Simon, S. 44.
[12] „Die führende und lenkende Kraft der sowjetischen Gesellschaft, der Kern ihres politischen Systems, der staatlichen Organe und gesellschaftlichen Organisationen ist die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU). Die KPdSU ist für das Volk da und dient dem Volk. Mit der marxistisch-leninistischen Lehre ausgerüstet, legt die Kommunistische Partei die Grundrichtung der gesellschaftlichen Entwicklung, die Linie der Innen- und Außenpolitik der UdSSR fest, leitet sie die große schöpferische Tätigkeit des Sowjetvolkes und verleiht seinen Kampf für den Sieg des Kommunismus planmäßigen, wissenschaftlich begründeten Charakter.“ In: Verfassung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 7. Oktober 1977, hier: Online-Publikation unter URL: http://www.verfassungen.de [Stand: 24.02.2004]
[13] So bestand er darauf, dass Bakatin seinen Stuhl zugunsten Pugos räumen musste. Und er ernannte Janaev zu seinem Stellvertreter im Amt des Präsidenten der UdSSR. Selbst Krjučkov, der wohl für die blutigen Ereignisse im Baltikum verantwortlich ist, wurde von Gorbačev in sein Amt verholfen.
[14] Estland erklärt seine Unabhängigkeit am 13.11.1989, Litauen folgt am 11.3.1990 und Lettland am 3.5.1990.
[15] Ihr vorausgegangen waren Initiativen seit November 1990, vornehmlich von M.S. Gorbačev und B.N. El’cin. Vgl. Brown, S. 470.
[16] Im Zuge der Souveränitätserklärungen vieler Republiken im Jahre 1990 durch die jeweiligen Obersten Sowjets begann der so genannte Krieg der Gesetze, vornehmlich zwischen der Union und Russland. Damit ist die konkurrierende Gesetzgebung gemeint. Teilrepubliken setzten Unionsgesetze außer Kraft; die Union wiederum erklärte die Gesetze der Republiken für ungültig. Vgl. Brown, S. 469.
[17] Benannt nach dem Moskauer Vorort. Dort befand sich seinerzeit ein Landsitz des sowjetischen Präsidenten, der heute dem Präsidenten der Russländischen Föderation zur Verfügung steht.
[18] Daher wird er auch „9+1“-Prozeß genannt.
[19] Diesem Vertragswerk gingen weitere Entwürfe voraus. Die ersten wurden aber auf Grund ihrer Widersprüchlichkeiten zwischen den Souveränitätsvorstellungen von Union einerseits und den Republiken andererseits durchweg abgelehnt. Der letzte Entwurf sollte ursprünglich in Moskau am 20. August 1991 unterschrieben werden und damit den Weg zu einem endgültigen neuen Vertrag über die Union ebnen. Vgl. Schewardnadse, S. 176-180, Brown, S. 467-480,
[20] Die Veränderungen wiesen große Ähnlichkeiten zur EG/EU auf, jedoch mit einem starken, von der ganzen Union gewählten Präsidenten als Staatsoberhaupt. Vgl. Brown, S. 472.
[21] „Слово к народу“. Eine Übersetzung des Zeitungsartikels findet sich in: Simon, S. 296-301. Online ist der Originaltexte unter http://www.zavtra.ru/cgi/veil/data/denlit/050/12.html [Stand: 05.06.2004] verfügbar.
[22] Dies waren unter anderem: G. Zjuganov, V. Varennikov, V. Starodubcev, A. Tizjakov. Dies zeigt einmal mehr, dass sogar Regierungsmitglieder den von Gorbačev eingeschlagenen Kurs nicht teilten und dieser somit nicht das Vertrauen seiner Regierungsmannschaft genoss. Vgl. Simon, S. 301.
[23] Diese Gruppe gehörte dann zu den entschiedenen Befürwortern des Putsches. Vgl. РИА, S. 7.
[24] In: Simon, S. 299.
[25] In: Simon, S. 297.
[26] Hier ging es vor allem um das Recht der Gesetzesinitiative für die Fachminister. Da dies jedoch nicht in Absprache mit Gorbačev geschah – die Kompetenzanmaßung wurde auch schon wieder fünf Tage später vom Obersten Sowjet zurückgenommen – kann dies als „zaghafter“ Putschversuch angesehen werden. Vgl. Brown, S. 474f.
[27] So arbeitete nur eine kleine Gruppe von vier Gorbačev-Vertrauten die Endfassung des unterschriftsreifen neuen Unionsvertrages aus: Georgij Chosroevič Šachnazarov (04.10.1924-15.05.2001), Grigorij Ivanovič Revenko (* 1936), Vladimir Nikolaevič Kudrjavcev (* 10.04.1923), Boris Nikolaevič Topornin
(* 29.12.1929).
[28] Vgl. Simon, S. 137.
[29] Vgl. Simon, S. 102.
[30] Des Weiteren soll hier erwähnt sein, dass in einem vertraulichen Gespräch zwischen Gorbačev, El’cin und dem kasachischen Präsidenten Nazarbaev auch schon über Personalfragen diskutiert wurde. Dieses wurde jedoch abgehört; entsprechende Tonbänder wurden bei Boldin gefunden. So standen zum Beispiel Jazov, Krjučkov und Pavlov zur Disposition – gewiss ein Anreiz dafür, dass diese drei dem Notstandskomitee angehörten. Vgl. Brown, S. 479 und Gorbatschow, S. 1068.
[31] Anatolij Aleksandrovič Sobčak (10.08.1937-20.02.2000), Bürgermeister von Leningrad/St. Petersburg, Berater Gorbačevs, schreibt davon in seinem Buch Für ein neues Russland. Unser Kampf um Recht und Demokratie, Bergisch Gladbach 1991, S. 401-420 und gewährt einen Einblick in die Ereignisse in Leningrad.
[32] Oleg Dmitrievič Baklanov (* 17.03.1932), stellv. Vorsitzender des Verteidigungsrates der UdSSR, Sekretär des ZK der KPdSU. Die Positionen und Ämter der entsprechenden Personen geben den Stand zu Beginn des Putsches am 18.8.1991 wieder.
[33] Oleg Semenovič Šenin (* 22.07.1937), Sekretär des ZK der KPdSU, Mitglied des Politbüro
[34] Valerij Ivanovič Boldin (*1935), Leiter der Allgemeinen Abteilung des ZK der KPdSU
[35] Valentin Ivanovič Varennikov (* 15.12.1923), Armeegeneral, Oberkommandierender der Bodentruppen und stellv. Verteidigungsminister der UdSSR
[36] Jurij Sergeevič Plechanov (1930-10.07.2002), Generalleutnant, Leiter der Abteilung 9 (Bewachungsdienst) des KGB
[37] Государственной Комитет по чрезвычайному положению (ГКЧП).
[38] Gennadij Ivanovič Janaev (* 26.08.1937), Vizepräsident der UdSSR, Sekretär des ZK der KPdSU, Mitglied des Politbüro der KPdSU, Volksdeputierter der UdSSR. Diese sowie die folgenden Angaben über die Putschisten sind Степанков/Лисов: Кремлёвский Заговор, Москва 1992 entnommen.
[39] Valentin Sergeevič Pavlov (26.09.1937-30.03.2003), Premierminister der UdSSR, Mitglied des ZK der KPdSU, Mitglied des Sicherheitsrates der UdSSR
[40] Vladimir Aleksandrovič Krjučkov (* 29.02.1924), Armeegeneral, Vorsitzender des KGB, Mitglied des Politbüro des ZK der KPdSU
[41] Boris Karlovič Pugo (19.02.1937-22.08.1991)
[42] Aleksandr Ivanovič Tizjakov (* 10.12.1926), Präsident der Vereinigung der Staatsbetriebe und Industrieobjekte, des Bau- sowie Post- und Fernmeldewesens
[43] Dmitrij Timofeevič Jazov (* 08.11.1923), Marschall der Sowjetunion, Verteidigungsminister der UdSSR, Mitglied des ZK der KPdSU
[44] Vasilij Aleksandrovič Starodubcev (* 25.12.1931), Vorsitzender der Bauernunion der UdSSR, Mitglied des ZK der KPdSU, Volksdeputierter der UdSSR
[45] Vgl. РИА (Hrsg.): Хроника путча, S. 2.
[46] Anatolij Ivanovič Luk’janov (* 07.05.1930), Vorsitzender des Obersten Sowjets der UdSSR
[47] Diesbezüglich schien der Putsch „gut vorbereitet“ zu sein. Es wurden hunderte Blanko-Haftbefehle gefunden, von denen zum Glück nur einige wenige in die Tat umgesetzt werden konnten.
[48] Ivan Stepanovič Silaev (* 21.10.1930), Vorsitzender des Ministerrates Russlands
[49] Dmitrij Komar, Il’ja Kričevski, Vladimir Uzov werden am 24.8.1991 unter großer Anteilnahme des Volkes beerdigt und posthum zu Helden der Sowjetunion ernannt.
[50] Vladimir Antonovič Ivaško (* 28.10.1932), Mitglied des Politbüro, stellv. Generalsekretär des ZK der KPdSU
[51] In: Delavre, S. 180.
[52] Aleksandr Vladimirovič Ruckoj (* 16.09.1945), Vizepräsident Russlands
[53] Vadim Viktorovič Bakatin (* 06.11.1937), ehem. Innenminister der UdSSR
[54] Evgenij Maksimovič Primakov (* 29.10.1929), Mitglied des Sicherheitsrates der UdSSR
[55] Der russische Präsident El’cin hatte sich mittlerweile zum Oberbefehlshaber aller Unionsstreitkräfte auf russischem Boden ausgerufen.
[56] Vgl. Степанков/Лисов, S. 219.
[57] Estland (20.8.), Lettland (21.8.), Ukraine (24.8.), Weißrussland (25.8.), Moldova (27.8.), Azerdajdžan (30.8.), Kirgistan (31.8.), Uzbekistan (31.8.), Tadžikistan (9.9.), Armenien (23.9.). Vgl. Ruge: Der Putsch, S. 280.
[58] In deren Verfassung es heißt „Zur Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken sind vereint: Die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik […]“ usw. Vgl. FN 14.
[59] Eine deutsche Übersetzung findet sich in: Gorbatschow, Michail: Der Zerfall, S. 228-255.
[60] Stanislav Stanislavovič Šuškevič (* 15.12.1934), Leonid Makarovič Kravčuk (* 10.01.1934)
[61] Näher beschrieben in: Merkel, Wolfgang: Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung, Opladen 1999.
[62] Diesem gehörten die russischen Minister Ivan Silaev, Grigorij Alekseevič Javlinskij (* 10.04.1952), Jurij Michajlovič Lužkov (* 21.09.1936), Arkadij Ivanovič Vol’skij (* 15.05.1932) sowie Vertreter der 15 Republiken an – die baltischen Staaten hatten jedoch nur einen Beobachterstatus inne.
[63] Erklärtes Ziel Gorbačevs war es, die Union „durch Umwandlung in eine Föderation zu erhalten und die KPdSU durch Reformen zu einer politischen Partei der Linken zu machen“. Gorbatschow, Michail: Erinnerungen, S. 1088.
[64] Vgl. Ebd., S. 1088.
[65] Vgl. Ebd., S. 1087.
[66] Ebd., S. 1089.
[67] Ebd.
[68] Er räumt jedoch ein, dass laut Verfassung innerhalb einer Woche der Oberste Sowjet einberufen werden muss, und dass es Lücken im System gab. Da Luk’janov aber aus der Sicht Gorbačevs ein enger Weggefährte war, hatte er von ihm entschiedenes Handeln erwartet. So konnte sich Luk’janov jedoch alle Optionen offen halten und je nach dem, wie der Putsch ausgegangen wäre, entsprechend handeln können. So gehörte er nicht dem Notstandskomitee an, war aber in Einzelheiten eingeweiht. Wohl darum führt ihn Gorbačev im Personenregister seines Buches Der Zerfall der Sowjetunion als Mitglied des Notstandskomitees an. Einen ähnlichen Vorwurf erhebt auch Boris El’cin, allerdings in Richtung Gorbačev.
[69] Ebd.
[70] Ebd., S. 1107.
[71] Vgl. Jelzin, Boris: Auf des Messers Schneide, S. 47.
[72] Ebd., S. 71.
[73] Ebd., S. 81.
[74] Ebd., S. 110.
[75] Ebd., S. 25.
[76] Ebd.
[77] Ausführlich dazu: Schewardnadse, Eduard: Die Zukunft gehört der Freiheit, Reinbek 1991.
[78] Schewardnadse, S. 34.
[79] Sergej Fedorovič Achromeev (05.05.1923-25.08.1991), ehem. Generalstabschef, Berater des Präsidenten der UdSSR. Er beging, obwohl nicht im GKČP, für dieses jedoch aber große Sympathien hatte, nach dem Putsch Selbstmord. Die Pariser Charta vom 19. November 1990 sah eine Truppenbegrenzung und Vernichtung von militärischem Equipment in Europa vor. Jedoch wurden sowjetische Panzer nicht vernichtet, sondern einfach aus Europa nach Asien – also einfach hinter den Ural – gebracht. Das Vertragswerk ist online unter URL http://www.osce.org/docs/english/1990-1999/cfe/cfetreate.pdf [Stand: 5.6.2004] verfügbar.
[80] Schewardnadse, S. 33f.
[81] So gab es Gerüchte, dass Gorbačev selbst den Putsch inszeniert hat. Mehrere Putschisten schrieben, Gorbacev hätte auch den Ernst der Lage erkannt, jedoch wollte bzw. konnte er keine drastischen Maßnahmen durchführen, wohl auch um sein internationales Ansehen nicht zu zerstören. Stattdessen ließ er die Putschisten gewähren, meldete sich krank und wollte erst dann wieder (genesen) nach Moskau zurückkehren, als die „Drecksarbeit“ getan war. Damit konnte er sowohl sein Ansehen erhalten, als auch die innenpolitische Lage zu „seinen Gunsten“ nutzen (Dass dies ganz offensichtlich nicht der Wahrheit entsprach, zeigt die Literatur und die widersprüchlichen Handlungsweisen der Putschisten, gerade im Hinblick auf ihren Versuch, am 21.8. zur Krim zurückzukehren.). Unter anderem versuchen sich so oder so ähnlich zu rechtfertigen: Крючков, В.А.: Личное дело – В 2 ч. Ч. 2, Москва 1996; Ивашов, Л.Г.: Маршал Язов (Роковой август 91-го), Вельск 1993; Павлов, В.: Август изнутри – Горбачевпутч, Москва 1993.
[82] So beschuldigt Janaev Pavlov als Hauptverantwortlichen der August-Ereignisse. Vgl. Степанков/Лисов, S. 53
[83] Im Februar 1994 beschloss die Staatsduma mit 252 gegen 67 Stimmen die Freilassung der Putschisten vom August 1991 als auch die Freilassung derjenigen, die im Oktober 1993 den Kampf ums Weiße Haus gegen Boris El’cin verloren.
[84] Einige der Putschisten sind heute Pensionäre, z.B. Janaev. Andere, wie z.B. Jazov beraten den amtierenden russischen Präsidenten Putin. Armeegeneral Varennikov, der zwar nicht aktiv im Notstandkomitee mitgewirkt hat, jedoch dessen Unterstützer war, ist heute Mitglied der Staatsduma.
[85] In: Simon, S. 138.
[86] Erwähnt seien hier nur der Streit mit der Ukraine um die Schwarzmeerflotte oder den Abzug von Kernwaffen aus Kasachstan.
[87] Siehe Kap. 2.3.
[88] Vgl. Simon, S. 146f.
[89] Vgl. Brown, S. 482.
[90] Russland, Belarus und die Ukraine erklären die UdSSR an diesem Tage für aufgelöst.
[91] Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Содружество Независимых Государств (СНГ). Diese ist mit der alten Sowjetunion nicht zu vergleichen. Sie weist aber Ähnlichkeiten mit der EU auf.
[92] Torke, Hans-Joachim (Hrsg.): Historisches Lexikon der Sowjetunion 1917/22 bis 1991, München 1993