1. Einleitung
Gerade in der aktuellen Debatte um den 15. Jahrestag der Öffnung der Berliner Mauer wurden die dramatischen Ereignisse des Zusammenbruchs der DDR und damit des Ostblocks eindrücklich vor Augen geführt. Mit der Öffnung der innerdeutschen Grenze und der Zustimmung der Alliierten in den „2+4“-Gesprächen war das Ende der Konfrontation zwischen Ost und West abzusehen. Gerade Michail Gorbačev als Präsident der UdSSR war ein entschiedener Befürworter der deutschen Einigung. Mit dieser Position untersetzte er die von ihm seit seinem Machtantritt 1985 begonnene Politik von Glasnost’ und Perestrojka, die auch außenpolitisch, z.B. durch die Pariser Charta, auf eine eindeutige Deeskalationsstrategie gegenüber den USA und ihren Verbündeten gezielt hatte. Das endgültige Ende des Ost-West-Konfliktes wurde eingeleitet durch die zunehmenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erosionserscheinungen in der UdSSR, die ihren nach außen sichtbaren Höhepunkt im Zerfall in einzelne Staaten erreichte. Dabei ist der Putsch vom August 1991, in dessen Folge Gorbačev von seinem Amt als Generalsekretär des ZK der KPdSU und später als Präsident der UdSSR zurücktrat, ein entscheidendes Datum.
In der folgenden Arbeit soll dieser Staatsstreich im Mittelpunkt stehen. Ausgehend von einer kurzen Analyse der Perestrojka-Politik sollen die Hintergründe und auch die warnenden Anzeichen unmittelbar vor dem Putsch beschrieben werden. In einem weiteren Schritt sollen die Ereignisse der Augusttage beleuchtet werden, um sie im Anschluss aus der Sicht ausgewählter Hauptakteure zu bewerten. Dabei stützt sich diese Arbeit in erster Linie auf die in Deutschland und Russland veröffentlichte wissenschaftliche Literatur. Besonderer Wert wurde auf die Auswertung der veröffentlichten Erinnerungen, insbesondere von Michail Gorbačev, Boris El’cin und Eduard Ševardnadse gelegt. Die Auswahl der Akteure erfolgte vor allen Dingen aus dem Wissen der in den Biographien zu Tage tretenden Rivalitäten zwischen ihnen.
Die dabei auftretenden methodischen Probleme, die daher rühren, dass insbesondere die Arbeiten von Gorbačev und El’cin erst einige Jahre nach dem Putsch publiziert wurden und damit die Authentizität der beschriebenen Ereignisse einer späteren Bewertung ausgesetzt ist, ist ein generelles Problem der Analyse von zeitgeschichtlichen Problemen.
In der folgenden Arbeit soll dieser Staatsstreich im Mittelpunkt stehen. Ausgehend von einer kurzen Analyse der Perestrojka-Politik sollen die Hintergründe und auch die warnenden Anzeichen unmittelbar vor dem Putsch beschrieben werden. In einem weiteren Schritt sollen die Ereignisse der Augusttage beleuchtet werden, um sie im Anschluss aus der Sicht ausgewählter Hauptakteure zu bewerten. Dabei stützt sich diese Arbeit in erster Linie auf die in Deutschland und Russland veröffentlichte wissenschaftliche Literatur. Besonderer Wert wurde auf die Auswertung der veröffentlichten Erinnerungen, insbesondere von Michail Gorbačev, Boris El’cin und Eduard Ševardnadse gelegt. Die Auswahl der Akteure erfolgte vor allen Dingen aus dem Wissen der in den Biographien zu Tage tretenden Rivalitäten zwischen ihnen.
Die dabei auftretenden methodischen Probleme, die daher rühren, dass insbesondere die Arbeiten von Gorbačev und El’cin erst einige Jahre nach dem Putsch publiziert wurden und damit die Authentizität der beschriebenen Ereignisse einer späteren Bewertung ausgesetzt ist, ist ein generelles Problem der Analyse von zeitgeschichtlichen Problemen.
2. Die Politik der Perestrojka
2.1 Die Person M.S. Gorbačevs
Michail Sergeevič Gorbačev wird am 2. März 1931 im Dorf Privol’noe in der Region Stavropol geboren.[1] Er studiert von 1950 bis 1955 in Moskau Rechtswissenschaften, anschließend in Stavropol Agrarwissenschaften. Er durchläuft alle Stufen der Parteikarriereleiter – und dies in relativ kurzer Zeit –, ist Funktionär bei der Komsomol, dann bei der KPdSU[2]. Im Jahre 1970 wird er Erster Sekretär der Kommunistischen Partei in der Region Stavropol. Als zuständigen Sekretär für Landwirtschaftsfragen beruft ihn Leonid Brežnev[3] am 27. November 1978 in das ZK[4] der KPdSU nach Moskau. Ein Jahr später wird Gorbačev Kandidat und 1980 dann Vollmitglied des Politbüro.[5] Nach den kurz aufeinander folgenden Toden der Parteichefs Brežnev, Andropov[6] und Černenko[7] wird M.S. Gorbačev am 11. März 1985 zum (jüngsten) Generalsekretär der KPdSU gewählt und zum Begründer einer Epoche, die in die Geschichte als Perestrojka eingeht.
2.2 Perestrojka – Der Umbau des Staates
Auf die Perestrojka-Politik M.S. Gorbačevs kann an dieser Stelle nur verkürzt eingegangen werden.[8] Ich beschränke mich dabei auf wesentliche Etappen und Ereignisse und versuche kurz, Tendenzen zu skizzieren.
Ausgehend vom Wort перестройка sollte sich das sowjetische Leben einem tief greifenden Umbau unterziehen. Ziel sollte es sein, die Sowjetunion zu einem modernen Staat zu wandeln. Dabei sollte aber weder der Staat an sich noch die Partei in Frage gestellt oder gar aufgelöst werden. Vielmehr sollte die Partei, mittels der ihr durch die Verfassung garantierten Stellung, die Antriebskraft dieses Umbaus sein, mit M.S. Gorbačev an ihrer Spitze.
Die ersten beiden Jahren der Regierungszeit Gorbačevs waren von administrativen Veränderungen an der Oberfläche gekennzeichnet: Bildung von so genannten Superministerien im Wirtschaftsapparat auf Unionsebene, Auswechslung von Mitgliedern der Regierung, neue Parteichefs in den Unionsrepubliken, Gebieten, Regionen und Autonomen Republiken. Dies diente freilich dazu, die Machtstellung des Generalsekretärs auszubauen und zu konsolidieren.[9] Es folgten Maßnahmen um die wirtschaftliche Lage zu verbessern, z.B. Disziplinierungsmaßnahmen am Arbeitsplatz[10], jedoch waren diese nicht vom erhofften Erfolg gekrönt.
Die Perestrojka sollte nicht nur in der Politik und Wirtschaft vollzogen werden, sondern auch die soziale Ebene erfassen. Mit Hilfe von Glasnost’[11] sollten die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Zustände im Lande beschrieben und natürlich auch kritisiert werden. Auch machte es Glasnost’ möglich, dass kritisch über die Geschichte der KPdSU und der Sowjetunion geschrieben werden konnte. Dies führte allmählich dazu, dass nicht nur Stalin, sondern auch Lenin und somit die Staatsideologie in Frage gestellt wurden. Daher wurde im Zuge der 70-Jahr-Feiern der Oktoberrevolution 1989 von der Glasnost’-Politik Abstand genommen. Auch stockte die Perestrojka zu dieser Zeit im Allgemeinen; dies hängt ursächlich mit dem Zerfallen der Kommunistischen Systeme in Osteuropa zusammen.
Mit der 28. Parteitagung der KPdSU im Juli 1990 trat jedoch die Perestrojka- und Glasnost’-Politik in eine neue Phase. Gorbačev wollte seinen Reformkurs weiter fortführen und setzte aus diesem Grund umfangreiche Neubesetzungen im Politbüro durch.
Wie sehr sich jedoch schon die UdSSR und die führende Partei in einer veränderten Situation befanden, zeigt die Tatsache, dass M.S. Gorbačev auf dem Februar-Plenum des ZK im Jahre 1990 den Verzicht auf die Vormachtstellung der KPdSU vorschlug: die Abschaffung des Artikel 6 der Verfassung der UdSSR.[12]
Für die Perestrojka gab es keinen ausgearbeiteten Plan. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie diversen Schwankungen unterlag. Dies ging sogar so weit, dass sich Gorbačev mal diesem, mal jenem Flügel der Partei anschloss und so zwischen den Reformern und den Konservativen hin- und herschwankte. So hoffte er, indem er Konservative mit in die Regierungsverantwortung nahm, auf Akzeptanz seiner Reformen in eben den konservativen Kreisen.[13] Schließlich und endgültig schlug sich Gorbačev auf die Seite der Reformer und leitete im April 1991 den so genannten Prozess von Novo-Ogarevo ein. Damit trat die Perestrojka in ihre letzte Phase, die jäh durch die Ereignisse des Putsches beendet wurde.
Ein Fazit der Perestrojka-Politik zu geben, ist nicht ganz einfach. Aus wirtschaftlicher Sicht gesehen ist sie gewiss ein katastrophaler Fehlschlag. Alle diesbezüglichen Reformbemühungen schlugen fehl. Dies musste zwangsläufig so geschehen, da die KPdSU bis 1990 nicht bereit war, ihre allumfassende Führungsrolle aufzugeben und damit von der Plan- zur Marktwirtschaft überzugehen. Einzelne marktwirtschaftliche Elemente in die Planwirtschaft zu integrieren war nur ein halbherziger Versuch einer Wirtschaftsreform und konnte nicht funktionieren. Jedoch kann es als großes Verdienst M.S. Gorbačevs angesehen werden, dass er einen Prozess einleitete, der zu einem tief greifenden gesellschaftlichen Wandel, nicht nur in der Sowjetunion, sondern in ganz Osteuropa führte, in dessen Ergebnis das Ende des Kalten Krieges und somit des Ost-West-Konfliktes stand.
Da nun aber das Einflussgebiet der Sowjetunion – Osteuropa – wegfiel, drohte die Sowjetunion von ihren Rändern aus zu zerbrechen. So ist es nicht verwunderlich, dass gerade die baltischen Staaten ihre Unabhängigkeit von der Union erklärten[14] und somit einen Prozess in Gang setzten, der nur das Ende der Union als solche zur Folge haben konnte.
Ausgehend vom Wort перестройка sollte sich das sowjetische Leben einem tief greifenden Umbau unterziehen. Ziel sollte es sein, die Sowjetunion zu einem modernen Staat zu wandeln. Dabei sollte aber weder der Staat an sich noch die Partei in Frage gestellt oder gar aufgelöst werden. Vielmehr sollte die Partei, mittels der ihr durch die Verfassung garantierten Stellung, die Antriebskraft dieses Umbaus sein, mit M.S. Gorbačev an ihrer Spitze.
Die ersten beiden Jahren der Regierungszeit Gorbačevs waren von administrativen Veränderungen an der Oberfläche gekennzeichnet: Bildung von so genannten Superministerien im Wirtschaftsapparat auf Unionsebene, Auswechslung von Mitgliedern der Regierung, neue Parteichefs in den Unionsrepubliken, Gebieten, Regionen und Autonomen Republiken. Dies diente freilich dazu, die Machtstellung des Generalsekretärs auszubauen und zu konsolidieren.[9] Es folgten Maßnahmen um die wirtschaftliche Lage zu verbessern, z.B. Disziplinierungsmaßnahmen am Arbeitsplatz[10], jedoch waren diese nicht vom erhofften Erfolg gekrönt.
Die Perestrojka sollte nicht nur in der Politik und Wirtschaft vollzogen werden, sondern auch die soziale Ebene erfassen. Mit Hilfe von Glasnost’[11] sollten die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Zustände im Lande beschrieben und natürlich auch kritisiert werden. Auch machte es Glasnost’ möglich, dass kritisch über die Geschichte der KPdSU und der Sowjetunion geschrieben werden konnte. Dies führte allmählich dazu, dass nicht nur Stalin, sondern auch Lenin und somit die Staatsideologie in Frage gestellt wurden. Daher wurde im Zuge der 70-Jahr-Feiern der Oktoberrevolution 1989 von der Glasnost’-Politik Abstand genommen. Auch stockte die Perestrojka zu dieser Zeit im Allgemeinen; dies hängt ursächlich mit dem Zerfallen der Kommunistischen Systeme in Osteuropa zusammen.
Mit der 28. Parteitagung der KPdSU im Juli 1990 trat jedoch die Perestrojka- und Glasnost’-Politik in eine neue Phase. Gorbačev wollte seinen Reformkurs weiter fortführen und setzte aus diesem Grund umfangreiche Neubesetzungen im Politbüro durch.
Wie sehr sich jedoch schon die UdSSR und die führende Partei in einer veränderten Situation befanden, zeigt die Tatsache, dass M.S. Gorbačev auf dem Februar-Plenum des ZK im Jahre 1990 den Verzicht auf die Vormachtstellung der KPdSU vorschlug: die Abschaffung des Artikel 6 der Verfassung der UdSSR.[12]
Für die Perestrojka gab es keinen ausgearbeiteten Plan. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie diversen Schwankungen unterlag. Dies ging sogar so weit, dass sich Gorbačev mal diesem, mal jenem Flügel der Partei anschloss und so zwischen den Reformern und den Konservativen hin- und herschwankte. So hoffte er, indem er Konservative mit in die Regierungsverantwortung nahm, auf Akzeptanz seiner Reformen in eben den konservativen Kreisen.[13] Schließlich und endgültig schlug sich Gorbačev auf die Seite der Reformer und leitete im April 1991 den so genannten Prozess von Novo-Ogarevo ein. Damit trat die Perestrojka in ihre letzte Phase, die jäh durch die Ereignisse des Putsches beendet wurde.
Ein Fazit der Perestrojka-Politik zu geben, ist nicht ganz einfach. Aus wirtschaftlicher Sicht gesehen ist sie gewiss ein katastrophaler Fehlschlag. Alle diesbezüglichen Reformbemühungen schlugen fehl. Dies musste zwangsläufig so geschehen, da die KPdSU bis 1990 nicht bereit war, ihre allumfassende Führungsrolle aufzugeben und damit von der Plan- zur Marktwirtschaft überzugehen. Einzelne marktwirtschaftliche Elemente in die Planwirtschaft zu integrieren war nur ein halbherziger Versuch einer Wirtschaftsreform und konnte nicht funktionieren. Jedoch kann es als großes Verdienst M.S. Gorbačevs angesehen werden, dass er einen Prozess einleitete, der zu einem tief greifenden gesellschaftlichen Wandel, nicht nur in der Sowjetunion, sondern in ganz Osteuropa führte, in dessen Ergebnis das Ende des Kalten Krieges und somit des Ost-West-Konfliktes stand.
Da nun aber das Einflussgebiet der Sowjetunion – Osteuropa – wegfiel, drohte die Sowjetunion von ihren Rändern aus zu zerbrechen. So ist es nicht verwunderlich, dass gerade die baltischen Staaten ihre Unabhängigkeit von der Union erklärten[14] und somit einen Prozess in Gang setzten, der nur das Ende der Union als solche zur Folge haben konnte.
2.3 Am Vorabend des Putsches
Am 23. April 1991 kam es zu einer erneuten Initiative, die Union zu retten.[15] Dies war nötig geworden, nach dem ein „Krieg der Gesetze“ das politische Leben der Union und ihrer Teilrepubliken lähmte.[16] Der so genannte Novo-Ogarevo-Prozess[17] wurde ins Leben gerufen. An ihm beteiligten sich sowohl M.S. Gorbačev als auch die politischen Führer der neun Unionsrepubliken Russland, Weißrussland/Belarus, Ukraine, Azerbajdžan, Kasachstan, Kirgisien, Usbekistan, Tadžikistan und Turkmenistan.[18] Vertreter Armeniens, Georgiens, Moldaviens und der baltischen Staaten nahmen daran nicht teil, denn sie wollten nicht Objekte einer neuen wie auch immer gearteten Union sein, sondern souveräne, unabhängige Staaten.
Der neue in naher Zukunft abzuschließende Unionsvertrag[19] sah für die beitrittswilligen Republiken vor, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken als eine Union der Souveränen Sowjetrepubliken zu erhalten. Er beinhaltete auch ein Recht auf Austritt aus der Union. Gleichzeitig sollten die Republiken einen gemeinsamen Wirtschaftsraum bilden; die Steuerhoheit bei den einzelnen Republiken liegen, jedoch die Außen- und Verteidigungspolitik von einer Zentralregierung bestimmt werden.[20]
Der Versuch, mit diesem Vertrag die Sowjetunion mit wesentlichen Änderungen (z.B. veränderte Kompetenzen auf Unions- und Republikebene) zu erhalten, rief allerdings die Konservativen, vor allem aus der KPdSU, hervor, die die Sowjetunion als Ganzes und Unteilbares ansahen. Mehr oder weniger offen forderten sie Gorbačev zum Rücktritt, oder wenigstens zum endgültigen Verlassen des Reformweges und somit zum Erhalt der Macht der KPdSU und der Sowjetunion zu zwingen. Stellvertretend sei hierfür der am 23. Juli 1991 in der Sovetskaja Rossija erschienende Beitrag „Ein Wort an das Volk“[21] zu nennen. In ihm forderten die Unterzeichner[22], die der Parlamentariergruppe „Sojus“[23] angehörten, zwar verhüllend und ohne konkrete Namen zu nennen, die „Errettung des Staates [...] des Vaterlands“[24]. Jedoch wurde auch unmissverständlich geschrieben, dass brennende Haus Sowjetunion „mit unserem Blut [zu] löschen.“[25] Aus den Reihen der Unterzeichner kamen zwei der späteren Mitglieder des Notstandskomitees.
Dies ist nur ein Beispiel dafür, dass Gorbačev die Macht aus den Händen zu verlieren drohte. Ein anderes ist das Verhalten von Premierminister Pavlov. Dieser forderte auf einer Sitzung des Obersten Sowjets am 17. Juni 1991 – ohne Gorbačev vorher zu konsultieren – weitere Machtbefugnisse, die er auch erhielt.[26]
Erwähnt werden soll an dieser Stelle auch die Tatsache, dass Gorbačev in zunehmendem Maße auf die Mitwirkung der KPdSU und ihrer Institutionen bei der Neugestaltung der Sowjetunion verzichtete.[27] Wie sehr sich auch die KPdSU (und damit die Sowjetunion) im Zerfall befand, belegt die Tatsache, dass die Unabhängigkeitserklärungen der einzelnen Sowjetrepubliken fast ausnahmslos von den jeweiligen Obersten Sowjets, in denen die Kommunistische Partei die Mehrheiten besaß, ausgesprochen wurden.[28] Zu allem Überfluss verbot El’cin am 20. Juli 1991 per Ukaz die Arbeit aller Parteien in staatlichen Institutionen und Unternehmen in der Russländischen Föderation.[29] So ist es nicht verwunderlich, dass dem Notstandskomitee Spitzenvertreter der Partei angehörten.[30]
Der neue in naher Zukunft abzuschließende Unionsvertrag[19] sah für die beitrittswilligen Republiken vor, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken als eine Union der Souveränen Sowjetrepubliken zu erhalten. Er beinhaltete auch ein Recht auf Austritt aus der Union. Gleichzeitig sollten die Republiken einen gemeinsamen Wirtschaftsraum bilden; die Steuerhoheit bei den einzelnen Republiken liegen, jedoch die Außen- und Verteidigungspolitik von einer Zentralregierung bestimmt werden.[20]
Der Versuch, mit diesem Vertrag die Sowjetunion mit wesentlichen Änderungen (z.B. veränderte Kompetenzen auf Unions- und Republikebene) zu erhalten, rief allerdings die Konservativen, vor allem aus der KPdSU, hervor, die die Sowjetunion als Ganzes und Unteilbares ansahen. Mehr oder weniger offen forderten sie Gorbačev zum Rücktritt, oder wenigstens zum endgültigen Verlassen des Reformweges und somit zum Erhalt der Macht der KPdSU und der Sowjetunion zu zwingen. Stellvertretend sei hierfür der am 23. Juli 1991 in der Sovetskaja Rossija erschienende Beitrag „Ein Wort an das Volk“[21] zu nennen. In ihm forderten die Unterzeichner[22], die der Parlamentariergruppe „Sojus“[23] angehörten, zwar verhüllend und ohne konkrete Namen zu nennen, die „Errettung des Staates [...] des Vaterlands“[24]. Jedoch wurde auch unmissverständlich geschrieben, dass brennende Haus Sowjetunion „mit unserem Blut [zu] löschen.“[25] Aus den Reihen der Unterzeichner kamen zwei der späteren Mitglieder des Notstandskomitees.
Dies ist nur ein Beispiel dafür, dass Gorbačev die Macht aus den Händen zu verlieren drohte. Ein anderes ist das Verhalten von Premierminister Pavlov. Dieser forderte auf einer Sitzung des Obersten Sowjets am 17. Juni 1991 – ohne Gorbačev vorher zu konsultieren – weitere Machtbefugnisse, die er auch erhielt.[26]
Erwähnt werden soll an dieser Stelle auch die Tatsache, dass Gorbačev in zunehmendem Maße auf die Mitwirkung der KPdSU und ihrer Institutionen bei der Neugestaltung der Sowjetunion verzichtete.[27] Wie sehr sich auch die KPdSU (und damit die Sowjetunion) im Zerfall befand, belegt die Tatsache, dass die Unabhängigkeitserklärungen der einzelnen Sowjetrepubliken fast ausnahmslos von den jeweiligen Obersten Sowjets, in denen die Kommunistische Partei die Mehrheiten besaß, ausgesprochen wurden.[28] Zu allem Überfluss verbot El’cin am 20. Juli 1991 per Ukaz die Arbeit aller Parteien in staatlichen Institutionen und Unternehmen in der Russländischen Föderation.[29] So ist es nicht verwunderlich, dass dem Notstandskomitee Spitzenvertreter der Partei angehörten.[30]
3. Der Putsch
Im Wesentlichen konzentriere ich mich hierbei auf die Ereignisse in Moskau und in Foros auf der Krim: die Aktivitäten der auf Seiten der Putschisten politisch Handelnden, die demokratische Kräfte um Boris El’cin und das Volk sowie die Ereignisse um Gorbačev in Foros.
Zwar gab es auch in anderen Städten, wie z.B. Leningrad oder Sverdlovsk Demonstrationen[31]; jedoch kann m.E. deren Bedeutung an dieser Stelle vernachlässigt werden, weil Moskau das politische Zentrum war, dort befanden sich die Putschisten und daher konnte der Putsch nur dort niedergeschlagen werden.
Zwar gab es auch in anderen Städten, wie z.B. Leningrad oder Sverdlovsk Demonstrationen[31]; jedoch kann m.E. deren Bedeutung an dieser Stelle vernachlässigt werden, weil Moskau das politische Zentrum war, dort befanden sich die Putschisten und daher konnte der Putsch nur dort niedergeschlagen werden.
3.1 Verlauf
Am Sonntag, 18. August 1991 kommen gegen 17.00 Uhr Baklanov[32], Šenin[33], Boldin[34], Varennikov[35], Plechanov[36] und andere ungebeten zu Besuch nach Foros. Sie stellen Gorbačev vor ein Ultimatum: er solle den Notstand und ein Staatliches Notstandskomitee verkünden oder zurücktreten. Beide Forderungen weist dieser jedoch zurück und so muss die Abordnung der Putschisten unverrichteter Dinge wieder abreisen. Gleichzeitig wird der Präsident aber in seinem Feriendomizil festgesetzt; die Kommunikationsleitungen werden gekappt und das Anwesen von putschistentreuen Truppen bewacht.
Montag, 19. August 1991: Seit dem frühen Morgen wird über Rundfunk und Fernsehen von der Ausrufung des Notstandes und der Gründung eines Staatskomitee für den Ausnahmezustand (GKČP)[37] berichtet. Ihm gehören Gennadij Janaev[38], Valentin Pavlov[39], Oleg Baklanov, Vladimir Krjučkov[40], Boris Pugo[41], Aleksandr Tizjakov[42], Dmitrij Jazov[43] und Vasilij Starodubcev[44] an. Das Komitee fühlt sich zu diesem Schritt gezwungen, da in der Sowjetunion Chaos, Anarchie und eine tiefe Krise herrschen. Im Interesse aller Menschen der Sowjetunion wird für eine Zeit von sechs Monaten der Ausnahmezustand ausgerufen, damit in dieser Zeit notwendige Maßnahmen ergriffen werden können, eine nationale Katastrophe zu verhindern.[45]
Daher erklärt das Komitee den rechtmäßigen Präsidenten der Sowjetunion aus gesundheitlichen Gründen für abgesetzt und der Vizepräsident übernimmt die Amtsgeschäfte. Die Medien werden unter die Kontrolle des GKČP gestellt, die Radio-Station „Echo von Moskau“ wird von Einheiten des KGB besetzt, Löhne und Preise werden eingefroren; es ergeht ein allgemeines Parteien- und Demonstrationsverbot. Sogleich rollen schwer bewaffnete Militäreinheiten ins Moskauer Stadtzentrum, der Rote Platz wird von Sondertruppen abgesperrt. Fernsehen und Radio senden diverse Anordnungen des GKČP.
Jedoch formiert sich auch der Widerstand gegen diesen offensichtlichen Putsch. Zu ihrer Galionsfigur wird der erste demokratisch gewählte Präsident Russlands (damals noch RSFSR) Boris Nikolaevič El’cin. Er erklärt die Ereignisse zu einem „verfassungswidrigen, reaktionären Staatsstreich“ und ruft die Bevölkerung zu einem Generalstreik auf. In seinem Amtssitz, dem so genannten Weißen Haus, organisiert er mit Abgeordneten des russischen Parlaments den Widerstand und unterstellt Teile der sowjetischen Exekutivorgane unter seinen Befehl. Einige Truppenteile folgen diesem Schritt und wechseln auf El’cins Seite über. Legendär wird El’cins Auftritt auf einem Panzer, bei dem er die Bevölkerung zum Widerstand aufruft.
Vor den Türen des Weißen Hauses beginnen Bürger Moskaus mit dem Bau von Barrikaden, um die Volksvertreter vor möglichen Verhaftungen durch Putschistentruppen zu schützen. Im Stadtzentrum kommt es – trotz Verhängung des landesweiten Ausnahmezustands – zu ersten zaghaften Demonstrationen gegen den Staatsstreich.
In Foros wird Gorbačev nun auch von der See aus isoliert; Kriegsschiffe patrouillieren in der Bucht. Seine Forderungen nach Wiederherstellung der Kommunikationsinfrastruktur und einem Flugzeug – ursprünglich wollte er ja zur Unterzeichnung des neuen Unionsvertrages nach Moskau fliegen – bleiben unbeantwortet. Da es seinem Schwiegersohn gelungen ist, mit Hilfe eines alten Transistorradios ausländische Radiostationen und somit aktuelle Nachrichten – u.a. von der Absetzung des Präsidenten aus gesundheitlichen Gründen – zu empfangen, wird eine Video-Botschaft aufgenommen, in der Gorbačev erklärt, dass er gesund ist, die Beschlüsse des GKČP null und nichtig sind und das Luk’janov[46] den Volksdeputierten-Kongress einberufen soll. Das Video sollte irgendwie nach draußen geschmuggelt werden; dies gelang jedoch nicht, es konnte daher erst nach dem Ende des Putsches gezeigt werden.
Dienstag, 20. August 1991: Gegen Boris El’cin verfügt das GKČP einen Haftbefehl[47], aber er wird nicht vollstreckt. Vielmehr stellen El’cin und Silaev[48] einen Katalog mit Forderungen zusammen, der Luk’janov übergeben werden soll; unter anderem wird die Auflösung des Notstandskomitees und seiner Beschlüsse, eine unabhängiges medizinisches Gutachten über den Gesundheitszustand von M.S. Gorbačev und ein Treffen mit dem Präsidenten der UdSSR gefordert. Doch der Vorsitzende des Obersten Sowjets der UdSSR schweigt und bleibt in der Zeit des gesamten Putsches tatenlos. Inzwischen verschärft sich die Situation im Stadtzentrum – Demonstrationen mit mehreren Tausend Menschen finden statt –, so dass der Patriarch Aleksej II. aufruft, kein Blut zu vergießen. Dem Appell El’cins zur Verteidigung des russischen Parlaments folgen Hunderte Freiwilliger und bauen die Barrikaden am Weißen Haus und im Stadtzentrum aus. Dadurch kann der erwartete Sturm der Armee und von Spezialeinheiten des KGB auf das russische Parlament verhindert werden. Der Militärkommandant von Moskau Nikolaj Kalinin verhängt zwar eine Ausgangssperre von 23.00 Uhr bis 5.00 Uhr am darauf folgenden Tag, jedoch wird diese nicht eingehalten und Demonstranten verharren auch in dieser Nacht an Ort und Stelle.
Derweil ist die Situation in Foros unverändert. Zwar wiederholt Gorbačev seine Forderungen vom Vortag, jedoch bleiben auch diese wieder unbeantwortet. Auch wird verwehrt, die Wahrheit über seinen Gesundheitszustand in den Medien zu berichten. Somit ist Gorbačev weiterhin zum Nichtstun verurteilt.
Am frühen Morgen des 21. August 1991, kurz nach Mitternacht, eskaliert die Situation in Moskau. Etwa 70 Panzer von KGB-Einheiten fahren in Richtung des Weißen Hauses. Dabei werden sie auf dem Kalinin-Prospekt von Demonstranten an der Weiterfahrt gehindert und mit Molotov-Cocktails beworfen. Es kommt zu Schüssen auf die Demonstranten, drei von ihnen sterben.[49] Am Tage fordert das Parlament Russlands in einer außerordentlichen Sitzung die Freilassung des sowjetischen Präsidenten und stellt den Putschisten das Ultimatum, das Staatliche Notstandskomitee bis 22.00 Uhr aufzulösen. Nun erst, meldet sich die Partei zu Wort, indem der stellvertretende Generalsekretär der KPdSU Ivaško[50] von den Putschisten fordert, man müsse Kontakt zum Generalsekretär herstellen. Auch der Oberste Sowjet der UdSSR meldet sich nun und erklärt die Amtsenthebung Gorbačevs für illegal und fordert Janaev auf, „seine Erlasse und die auf ihnen basierenden Beschlüsse zum Ausnahmezustand zurückzunehmen.“[51] Gegen 14.00 Uhr verlassen Krjučkov, Jazov und Tizjakov, wohl nun endgültig wissend, dass dieser Putsch zum Scheitern verurteilt ist, Moskau und fliegen zur Krim. Nur wenig später folgen ihnen mit Ruckoj[52], Silaev, Bakatin[53], Primakov[54] und anderen eine Abordnung des russischen Parlaments, die zum einen Kontakt zu Gorbačev aufnehmen, zum anderen die sich absetzenden Putschisten verhaften soll. Zwar gelingt es den Putschisten, als erstes auf die Krim zu gelangen, doch werden sie von Gorbačev nicht empfangen. Gegen 17.00 Uhr zieht der aufgebotene Militärkoloss aus Moskaus Zentrum ab.[55]
Auf der Krim hört Gorbačevs Tochter im Radio, dass Krjučkov zugestimmt habe, dass eine „Delegation“ auf die Krim fliegt, um sich vom schlechten Gesundheitszustand des Präsidenten zu überzeugen. Dies nimmt man in Foros zum Anlass, man rechnet mit dem Schlimmsten (z.B. dass nun versucht wird, dem Präsidenten Schaden zuzufügen oder ihn tatsächlich als amtsunfähig erscheinen zu lassen), die Zufahrt zum Haus zu sperren, und niemanden hereinzulassen. Gegen 17.45 Uhr wird die Isolierung der Kommunikationsnetze aufgehoben, so dass Gorbačev mit Jelzin und weiteren Führern der anderen Sowjetrepubliken telefonieren kann. Die Putschisten, die aus unerklärlichen Gründen auf die Krim gereist sind, werden nicht von Gorbačev empfangen und stattdessen von der russischen Abordnung unter Führung Ruckojs verhaftet. Der Putsch ist vorbei. Spät abends gegen 23.00 Uhr fliegt M.S. Gorbacev mit seiner Familie sowie den russischen Abgeordneten als auch mit den Putschisten in einer Maschine nach Moskau.
Dort kommt er gegen 2.00 Uhr am Donnerstag, 22. August 1991 an. Die schon Verhafteten werden zum Staatsanwalt gebracht. Im Verlaufe des Morgens werden weitere Putschisten festgenommen: der betrunkene Janaev[56] im Kreml, Pavlov im Krankenhaus. Pugo entzieht sich seiner Verhaftung durch Selbstmord. Starodubcev, Baklanov und andere können erst Tage später verhaftet werden, nachdem der Oberste Sowjet deren Immunität aufgehoben hat.
Gegen Mittag findet vor dem Weißen Haus eine Großdemonstration statt, auf der der Sieg der Demokraten um Boris El’cin über die Putschisten gefeiert wird. Symbolträchtig wird die weiß-blau-rote Flagge des Widerstandes gegen die Putschisten zur neuen Staatsflagge Russlands. Jedoch erscheint hier M.S. Gorbačev nicht; vielmehr hält er am Abend des gleichen Tages eine Pressekonferenz ab, auf der er zwar El’cin und diejenigen, die das Weiße Haus und somit die Demokratie (und auch ihn) verteidigten, ausdrücklich dankt und den Putsch verurteilt, er jedoch weiter an der Reformierbarkeit der KPdSU festhält. Dies sollte sich im Nachhinein als Fehler in zweifacher Hinsicht herausstellen.
Montag, 19. August 1991: Seit dem frühen Morgen wird über Rundfunk und Fernsehen von der Ausrufung des Notstandes und der Gründung eines Staatskomitee für den Ausnahmezustand (GKČP)[37] berichtet. Ihm gehören Gennadij Janaev[38], Valentin Pavlov[39], Oleg Baklanov, Vladimir Krjučkov[40], Boris Pugo[41], Aleksandr Tizjakov[42], Dmitrij Jazov[43] und Vasilij Starodubcev[44] an. Das Komitee fühlt sich zu diesem Schritt gezwungen, da in der Sowjetunion Chaos, Anarchie und eine tiefe Krise herrschen. Im Interesse aller Menschen der Sowjetunion wird für eine Zeit von sechs Monaten der Ausnahmezustand ausgerufen, damit in dieser Zeit notwendige Maßnahmen ergriffen werden können, eine nationale Katastrophe zu verhindern.[45]
Daher erklärt das Komitee den rechtmäßigen Präsidenten der Sowjetunion aus gesundheitlichen Gründen für abgesetzt und der Vizepräsident übernimmt die Amtsgeschäfte. Die Medien werden unter die Kontrolle des GKČP gestellt, die Radio-Station „Echo von Moskau“ wird von Einheiten des KGB besetzt, Löhne und Preise werden eingefroren; es ergeht ein allgemeines Parteien- und Demonstrationsverbot. Sogleich rollen schwer bewaffnete Militäreinheiten ins Moskauer Stadtzentrum, der Rote Platz wird von Sondertruppen abgesperrt. Fernsehen und Radio senden diverse Anordnungen des GKČP.
Jedoch formiert sich auch der Widerstand gegen diesen offensichtlichen Putsch. Zu ihrer Galionsfigur wird der erste demokratisch gewählte Präsident Russlands (damals noch RSFSR) Boris Nikolaevič El’cin. Er erklärt die Ereignisse zu einem „verfassungswidrigen, reaktionären Staatsstreich“ und ruft die Bevölkerung zu einem Generalstreik auf. In seinem Amtssitz, dem so genannten Weißen Haus, organisiert er mit Abgeordneten des russischen Parlaments den Widerstand und unterstellt Teile der sowjetischen Exekutivorgane unter seinen Befehl. Einige Truppenteile folgen diesem Schritt und wechseln auf El’cins Seite über. Legendär wird El’cins Auftritt auf einem Panzer, bei dem er die Bevölkerung zum Widerstand aufruft.
Vor den Türen des Weißen Hauses beginnen Bürger Moskaus mit dem Bau von Barrikaden, um die Volksvertreter vor möglichen Verhaftungen durch Putschistentruppen zu schützen. Im Stadtzentrum kommt es – trotz Verhängung des landesweiten Ausnahmezustands – zu ersten zaghaften Demonstrationen gegen den Staatsstreich.
In Foros wird Gorbačev nun auch von der See aus isoliert; Kriegsschiffe patrouillieren in der Bucht. Seine Forderungen nach Wiederherstellung der Kommunikationsinfrastruktur und einem Flugzeug – ursprünglich wollte er ja zur Unterzeichnung des neuen Unionsvertrages nach Moskau fliegen – bleiben unbeantwortet. Da es seinem Schwiegersohn gelungen ist, mit Hilfe eines alten Transistorradios ausländische Radiostationen und somit aktuelle Nachrichten – u.a. von der Absetzung des Präsidenten aus gesundheitlichen Gründen – zu empfangen, wird eine Video-Botschaft aufgenommen, in der Gorbačev erklärt, dass er gesund ist, die Beschlüsse des GKČP null und nichtig sind und das Luk’janov[46] den Volksdeputierten-Kongress einberufen soll. Das Video sollte irgendwie nach draußen geschmuggelt werden; dies gelang jedoch nicht, es konnte daher erst nach dem Ende des Putsches gezeigt werden.
Dienstag, 20. August 1991: Gegen Boris El’cin verfügt das GKČP einen Haftbefehl[47], aber er wird nicht vollstreckt. Vielmehr stellen El’cin und Silaev[48] einen Katalog mit Forderungen zusammen, der Luk’janov übergeben werden soll; unter anderem wird die Auflösung des Notstandskomitees und seiner Beschlüsse, eine unabhängiges medizinisches Gutachten über den Gesundheitszustand von M.S. Gorbačev und ein Treffen mit dem Präsidenten der UdSSR gefordert. Doch der Vorsitzende des Obersten Sowjets der UdSSR schweigt und bleibt in der Zeit des gesamten Putsches tatenlos. Inzwischen verschärft sich die Situation im Stadtzentrum – Demonstrationen mit mehreren Tausend Menschen finden statt –, so dass der Patriarch Aleksej II. aufruft, kein Blut zu vergießen. Dem Appell El’cins zur Verteidigung des russischen Parlaments folgen Hunderte Freiwilliger und bauen die Barrikaden am Weißen Haus und im Stadtzentrum aus. Dadurch kann der erwartete Sturm der Armee und von Spezialeinheiten des KGB auf das russische Parlament verhindert werden. Der Militärkommandant von Moskau Nikolaj Kalinin verhängt zwar eine Ausgangssperre von 23.00 Uhr bis 5.00 Uhr am darauf folgenden Tag, jedoch wird diese nicht eingehalten und Demonstranten verharren auch in dieser Nacht an Ort und Stelle.
Derweil ist die Situation in Foros unverändert. Zwar wiederholt Gorbačev seine Forderungen vom Vortag, jedoch bleiben auch diese wieder unbeantwortet. Auch wird verwehrt, die Wahrheit über seinen Gesundheitszustand in den Medien zu berichten. Somit ist Gorbačev weiterhin zum Nichtstun verurteilt.
Am frühen Morgen des 21. August 1991, kurz nach Mitternacht, eskaliert die Situation in Moskau. Etwa 70 Panzer von KGB-Einheiten fahren in Richtung des Weißen Hauses. Dabei werden sie auf dem Kalinin-Prospekt von Demonstranten an der Weiterfahrt gehindert und mit Molotov-Cocktails beworfen. Es kommt zu Schüssen auf die Demonstranten, drei von ihnen sterben.[49] Am Tage fordert das Parlament Russlands in einer außerordentlichen Sitzung die Freilassung des sowjetischen Präsidenten und stellt den Putschisten das Ultimatum, das Staatliche Notstandskomitee bis 22.00 Uhr aufzulösen. Nun erst, meldet sich die Partei zu Wort, indem der stellvertretende Generalsekretär der KPdSU Ivaško[50] von den Putschisten fordert, man müsse Kontakt zum Generalsekretär herstellen. Auch der Oberste Sowjet der UdSSR meldet sich nun und erklärt die Amtsenthebung Gorbačevs für illegal und fordert Janaev auf, „seine Erlasse und die auf ihnen basierenden Beschlüsse zum Ausnahmezustand zurückzunehmen.“[51] Gegen 14.00 Uhr verlassen Krjučkov, Jazov und Tizjakov, wohl nun endgültig wissend, dass dieser Putsch zum Scheitern verurteilt ist, Moskau und fliegen zur Krim. Nur wenig später folgen ihnen mit Ruckoj[52], Silaev, Bakatin[53], Primakov[54] und anderen eine Abordnung des russischen Parlaments, die zum einen Kontakt zu Gorbačev aufnehmen, zum anderen die sich absetzenden Putschisten verhaften soll. Zwar gelingt es den Putschisten, als erstes auf die Krim zu gelangen, doch werden sie von Gorbačev nicht empfangen. Gegen 17.00 Uhr zieht der aufgebotene Militärkoloss aus Moskaus Zentrum ab.[55]
Auf der Krim hört Gorbačevs Tochter im Radio, dass Krjučkov zugestimmt habe, dass eine „Delegation“ auf die Krim fliegt, um sich vom schlechten Gesundheitszustand des Präsidenten zu überzeugen. Dies nimmt man in Foros zum Anlass, man rechnet mit dem Schlimmsten (z.B. dass nun versucht wird, dem Präsidenten Schaden zuzufügen oder ihn tatsächlich als amtsunfähig erscheinen zu lassen), die Zufahrt zum Haus zu sperren, und niemanden hereinzulassen. Gegen 17.45 Uhr wird die Isolierung der Kommunikationsnetze aufgehoben, so dass Gorbačev mit Jelzin und weiteren Führern der anderen Sowjetrepubliken telefonieren kann. Die Putschisten, die aus unerklärlichen Gründen auf die Krim gereist sind, werden nicht von Gorbačev empfangen und stattdessen von der russischen Abordnung unter Führung Ruckojs verhaftet. Der Putsch ist vorbei. Spät abends gegen 23.00 Uhr fliegt M.S. Gorbacev mit seiner Familie sowie den russischen Abgeordneten als auch mit den Putschisten in einer Maschine nach Moskau.
Dort kommt er gegen 2.00 Uhr am Donnerstag, 22. August 1991 an. Die schon Verhafteten werden zum Staatsanwalt gebracht. Im Verlaufe des Morgens werden weitere Putschisten festgenommen: der betrunkene Janaev[56] im Kreml, Pavlov im Krankenhaus. Pugo entzieht sich seiner Verhaftung durch Selbstmord. Starodubcev, Baklanov und andere können erst Tage später verhaftet werden, nachdem der Oberste Sowjet deren Immunität aufgehoben hat.
Gegen Mittag findet vor dem Weißen Haus eine Großdemonstration statt, auf der der Sieg der Demokraten um Boris El’cin über die Putschisten gefeiert wird. Symbolträchtig wird die weiß-blau-rote Flagge des Widerstandes gegen die Putschisten zur neuen Staatsflagge Russlands. Jedoch erscheint hier M.S. Gorbačev nicht; vielmehr hält er am Abend des gleichen Tages eine Pressekonferenz ab, auf der er zwar El’cin und diejenigen, die das Weiße Haus und somit die Demokratie (und auch ihn) verteidigten, ausdrücklich dankt und den Putsch verurteilt, er jedoch weiter an der Reformierbarkeit der KPdSU festhält. Dies sollte sich im Nachhinein als Fehler in zweifacher Hinsicht herausstellen.
3.2 Konsequenzen
Die Konsequenzen, die dieser Putsch auslöste, waren von einer rasend schnellen Dynamik auf allen Ebenen des sowjetischen Lebens gekennzeichnet.
Die UdSSR als Staatswesen. Noch während und nach dem Putsch erklären fast alle Unionsrepubliken ihre Souveränität[57] und entziehen somit dieser Union ihre Lebensgrundlage.[58] Aufgrund einer noch fehlenden neuen Vereinbarung zwischen den Staaten, bleibt der „Krieg der Gesetze“ bestehen, jedoch gibt es keine Zentralmacht mehr, die die Unionsgesetze umsetzen kann. Im Übrigen besteht diese Union faktisch nur noch auf dem Papier; eine Zentralregierung ist nicht mehr handlungsfähig, was einer Quasi-Auflösung der UdSSR gleichkommt. Auch der Volksdeputiertenkongress der Sowjetunion beschließt am 5. September 1991 seine Auflösung und schlägt stattdessen die Gründung einer Union der Souveränen Staaten vor. Zwar wird unter Federführung von Gorbačev und El’cin an einem neuen Unionsvertrag mit einem Vertrag über eine Wirtschaftsgemeinschaft[59] weiter gearbeitet. Jedoch ist es Boris El’cin, der sich mit den Führern Weißrusslands und der Ukraine[60] trifft und in Viskuli (Belovežsker Forst) nahe Brest die Gründungsakte der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) unterschreibt und somit einer wie auch immer gearteten neuen Union den Todesstoß versetzt.
Da es nun keine funktionierende Zentralregierung mehr gibt, können auch die überwunden geglaubten Nationalitätenkonflikte, besonders im Kaukasus, wieder aufflammen.
Die KPdSU. Schon am 23.8. unterschreibt Boris El’cin – demonstrativ während einer Rede Gorbačevs vor dem russischen Parlament – ein Ukaz, dass die Aktivitäten der kommunistischen Partei bis zur Klärung ihrer Verstrickung in den Putsch untersagt. Einen Tag später tritt M.S. Gorbačev von seinem Amt als Generalsekretär des ZK der KPdSU zurück und empfiehlt der Partei die Selbstauflösung. Wiederum per russischen Präsidialukaz fällt das Eigentum der KPdSU der Regierung Russlands zu. Am 29.8. wird die Einstellung der Aktivitäten der Partei auf dem gesamten Territorium der UdSSR durch den Obersten Sowjet beschlossen.
Die Wirtschaft. Das Wirtschaftssystem der Union fällt in sich zusammen. Mit der Einstellung der Arbeit der KPdSU verliert die Wirtschaftspolitik der Union ihre Gestalterin. Somit nimmt das Dilemma der Gleichzeitigkeit von politischer und wirtschaftlicher Transformation[61] seinen Lauf. Alle Versuche seitens Gorbačev, mit halbherzigen marktwirtschaftlichen Elementen die Planwirtschaft zu reformieren, schlagen fehl. Diesbezüglich hat die Perestrojka-Politik auf ganzer Linie versagt. Daran kann auch die Bildung eines „Komitees für die Leitung der Wirtschaft“[62] – als eine Art Unionsexekutive für die Wirtschaft – nichts mehr ändern.
Die UdSSR als Staatswesen. Noch während und nach dem Putsch erklären fast alle Unionsrepubliken ihre Souveränität[57] und entziehen somit dieser Union ihre Lebensgrundlage.[58] Aufgrund einer noch fehlenden neuen Vereinbarung zwischen den Staaten, bleibt der „Krieg der Gesetze“ bestehen, jedoch gibt es keine Zentralmacht mehr, die die Unionsgesetze umsetzen kann. Im Übrigen besteht diese Union faktisch nur noch auf dem Papier; eine Zentralregierung ist nicht mehr handlungsfähig, was einer Quasi-Auflösung der UdSSR gleichkommt. Auch der Volksdeputiertenkongress der Sowjetunion beschließt am 5. September 1991 seine Auflösung und schlägt stattdessen die Gründung einer Union der Souveränen Staaten vor. Zwar wird unter Federführung von Gorbačev und El’cin an einem neuen Unionsvertrag mit einem Vertrag über eine Wirtschaftsgemeinschaft[59] weiter gearbeitet. Jedoch ist es Boris El’cin, der sich mit den Führern Weißrusslands und der Ukraine[60] trifft und in Viskuli (Belovežsker Forst) nahe Brest die Gründungsakte der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) unterschreibt und somit einer wie auch immer gearteten neuen Union den Todesstoß versetzt.
Da es nun keine funktionierende Zentralregierung mehr gibt, können auch die überwunden geglaubten Nationalitätenkonflikte, besonders im Kaukasus, wieder aufflammen.
Die KPdSU. Schon am 23.8. unterschreibt Boris El’cin – demonstrativ während einer Rede Gorbačevs vor dem russischen Parlament – ein Ukaz, dass die Aktivitäten der kommunistischen Partei bis zur Klärung ihrer Verstrickung in den Putsch untersagt. Einen Tag später tritt M.S. Gorbačev von seinem Amt als Generalsekretär des ZK der KPdSU zurück und empfiehlt der Partei die Selbstauflösung. Wiederum per russischen Präsidialukaz fällt das Eigentum der KPdSU der Regierung Russlands zu. Am 29.8. wird die Einstellung der Aktivitäten der Partei auf dem gesamten Territorium der UdSSR durch den Obersten Sowjet beschlossen.
Die Wirtschaft. Das Wirtschaftssystem der Union fällt in sich zusammen. Mit der Einstellung der Arbeit der KPdSU verliert die Wirtschaftspolitik der Union ihre Gestalterin. Somit nimmt das Dilemma der Gleichzeitigkeit von politischer und wirtschaftlicher Transformation[61] seinen Lauf. Alle Versuche seitens Gorbačev, mit halbherzigen marktwirtschaftlichen Elementen die Planwirtschaft zu reformieren, schlagen fehl. Diesbezüglich hat die Perestrojka-Politik auf ganzer Linie versagt. Daran kann auch die Bildung eines „Komitees für die Leitung der Wirtschaft“[62] – als eine Art Unionsexekutive für die Wirtschaft – nichts mehr ändern.
3.3 Wahrnehmung
Michail Gorbačev
Die Perestrojka-Politik, das Neue Denken, die Umwandlung des Landes in eine lebensfähige demokratische Föderation ist das Lebenswerk Gorbačevs. Der Putsch zerstörte diese Politik endgültig, als sie in die Tat umgesetzt werden sollte.
Zwar hielt Gorbačev bis zum Schluss daran fest[63], jedoch verschloss er seine Augen vor der Realität: die KPdSU war nicht reformierbar. So fühlt er sich denn auch von der Führungselite der Partei und einem Großteil der Parteinomenklatura verraten.[64] Vor allem hat das Zentralkomitee der KPdSU versagt, indem es „sich im Grunde genommen mit dem Notstandskomitee solidarisiert hatte.“[65] Aber auch er muss zu dem Schluss kommen, dass der „Zerfall der KPdSU […] unvermeidlich“ war und dass die Partei die politische Bühne räumen musste.[66]
Ohne jedoch die Putschisten all zu hart zu verurteilen, spricht er von „politischer Blindheit und Beschränktheit“ der Mitglieder des Staatlichen Notstandskomitees, „die von eigennützigen Interessen bestimmt“, handelten.[67]
Jedoch hatte sein alter Studienkollege Luk’janov besonders große Schuld auf sich geladen, in dem als Vorsitzender des Obersten Sowjets nicht sofort handelte und eine Sitzung des Obersten Sowjets einberief. Sein Schweigen ermöglichte es dem GKČP, für einige Tage handeln zu können.[68]
Gorbačev wollte jedoch seine Hoffnung in Bezug auf die Neugestaltung der Union noch nicht aufgeben, und so war es aber s.E. Boris El’cin, der die Konsequenzen aus dem Putsch zog und zuerst die Partei – „Jelzin handelte mit sadistischer Lust“[69] – verbot und dann in „Heimtücke“[70] mit den Führern Weißrusslands und der Ukraine die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zu Grabe trug.
Boris El’cinZwar hielt Gorbačev bis zum Schluss daran fest[63], jedoch verschloss er seine Augen vor der Realität: die KPdSU war nicht reformierbar. So fühlt er sich denn auch von der Führungselite der Partei und einem Großteil der Parteinomenklatura verraten.[64] Vor allem hat das Zentralkomitee der KPdSU versagt, indem es „sich im Grunde genommen mit dem Notstandskomitee solidarisiert hatte.“[65] Aber auch er muss zu dem Schluss kommen, dass der „Zerfall der KPdSU […] unvermeidlich“ war und dass die Partei die politische Bühne räumen musste.[66]
Ohne jedoch die Putschisten all zu hart zu verurteilen, spricht er von „politischer Blindheit und Beschränktheit“ der Mitglieder des Staatlichen Notstandskomitees, „die von eigennützigen Interessen bestimmt“, handelten.[67]
Jedoch hatte sein alter Studienkollege Luk’janov besonders große Schuld auf sich geladen, in dem als Vorsitzender des Obersten Sowjets nicht sofort handelte und eine Sitzung des Obersten Sowjets einberief. Sein Schweigen ermöglichte es dem GKČP, für einige Tage handeln zu können.[68]
Gorbačev wollte jedoch seine Hoffnung in Bezug auf die Neugestaltung der Union noch nicht aufgeben, und so war es aber s.E. Boris El’cin, der die Konsequenzen aus dem Putsch zog und zuerst die Partei – „Jelzin handelte mit sadistischer Lust“[69] – verbot und dann in „Heimtücke“[70] mit den Führern Weißrusslands und der Ukraine die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zu Grabe trug.
Für Boris El’cin bedeuten die Tage im August 1991 den Zusammenbruch eines Imperiums, dem globale Bedeutung zukommt.[71] Damit wurde der Kommunismus im 20. Jahrhundert geschlagen. Er vergleicht diese Ereignisse mit der Entmachtung Chruščevs im Jahre 1964. Auch damals hatten sich die Leute an der Seite des Generalsekretärs der KPdSU gegen den Machthaber verschworen und gestürzt. Jedoch unterlässt es El’cin nicht, laut darüber zu spekulieren, das Gorbačev selbst in Putsch als Handelnder verwickelt sein könnte; „andere machten sich die Hände schmutzig, um für ihn den Weg frei zu räumen, und er konnte in ein gleichsam über Nacht verändertes Land zurückkehren. […] Man hätte mit einem Schlag alle Probleme gelöst.“[72]
El’cin ist davon überzeugt, dass die Putschisten die Wirklichkeit verkannten, dass sie nicht wussten, was wirklich in Moskau und im ganzen Land vor sich ging. Er kommt zu dem Schluss, dass das GKČP „weder über einen Führer nach innen noch wenigstens über einen nach außen“[73] verfügte, es fehlte sozusagen „‚ein teuflisches Genie’“.[74] Keiner der Putschisten wollte Verantwortung für sein Handeln übernehmen, sondern nur Verantwortung im Rahmen des Staatskomitees; ihre Unentschlossenheit war ein Grund dafür, dass der Putsch misslang. Ein weiterer Grund war aber im Gegenzug die Entschlossenheit des Volkes, dass genau erkannte, dass ein Staatsstreich gegen Gorbačev stattgefunden hatte. Es waren die unzähligen Leute, die die Barrikaden vor dem Weißen Haus und anderswo bauten und sich hinter ihnen verschanzten, die unzähligen Leute, die die Beschützer der Demokratie und die übergelaufenen Soldaten mit Essen und Trinken versorgten, die Tag und Nacht in den Straßen Moskaus ausharrten. Gorbačev, für den El’cin immer ein politischer Gegner war und bleibt, gibt er eine große Mitschuld an den Ereignissen. Im Grunde genommen, war „der Sturz in den Abgrund“ schon seit der Zeit, als Gorbačev Pugo, Janaev und die anderen in verantwortliche Positionen bestellte, „unabwendbar“.[75] Ja, Gorbačev „grub sich […] selbst die Grube […]. Da er sie mit umfangreichen Vollmachten ausstattete, regte er sie zu einer entschiedenen Kursänderung an“.[76] Zwangsläufig musste es also zu einem Putsch kommen.
Eduard ŠevardnadseEl’cin ist davon überzeugt, dass die Putschisten die Wirklichkeit verkannten, dass sie nicht wussten, was wirklich in Moskau und im ganzen Land vor sich ging. Er kommt zu dem Schluss, dass das GKČP „weder über einen Führer nach innen noch wenigstens über einen nach außen“[73] verfügte, es fehlte sozusagen „‚ein teuflisches Genie’“.[74] Keiner der Putschisten wollte Verantwortung für sein Handeln übernehmen, sondern nur Verantwortung im Rahmen des Staatskomitees; ihre Unentschlossenheit war ein Grund dafür, dass der Putsch misslang. Ein weiterer Grund war aber im Gegenzug die Entschlossenheit des Volkes, dass genau erkannte, dass ein Staatsstreich gegen Gorbačev stattgefunden hatte. Es waren die unzähligen Leute, die die Barrikaden vor dem Weißen Haus und anderswo bauten und sich hinter ihnen verschanzten, die unzähligen Leute, die die Beschützer der Demokratie und die übergelaufenen Soldaten mit Essen und Trinken versorgten, die Tag und Nacht in den Straßen Moskaus ausharrten. Gorbačev, für den El’cin immer ein politischer Gegner war und bleibt, gibt er eine große Mitschuld an den Ereignissen. Im Grunde genommen, war „der Sturz in den Abgrund“ schon seit der Zeit, als Gorbačev Pugo, Janaev und die anderen in verantwortliche Positionen bestellte, „unabwendbar“.[75] Ja, Gorbačev „grub sich […] selbst die Grube […]. Da er sie mit umfangreichen Vollmachten ausstattete, regte er sie zu einer entschiedenen Kursänderung an“.[76] Zwangsläufig musste es also zu einem Putsch kommen.
Bereits kurz nach dem Ende der Verschwörung brachte er seine Gedanken zu Papier. Jedoch gehörte er auch zu denjenigen aus dem Umfeld Gorbačevs, die schon frühzeitig vor einem Absinken in eine Diktatur gewarnt hatten.[77] Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch er M.S. Gorbačev eine Mitschuld an den Ereignissen im August 1991 gibt.
Ja, er findet sogar drastische Worte dafür, indem er sagt, dass „kein anderer, sondern er selbst [...] die Junta hochgepäppelt [hat] durch seine Fahrlässigkeit, seine Unentschlossenheit und seine Neigung zum Lavieren, durch seinen Mangel an Menschenkenntnis, durch seine Gleichgültigkeit gegenüber seinen wahren Kampfgefährten …“[78] Eben deshalb ist Ševardnadse auch von seinem Amt als Außenminister der Sowjetunion schon im Dezember 1990 zurückgetreten.
Auch hätte Gorbačev die unverhohlen offenen Anzeichen seines schwindenden Machteinflusses erkennen müssen. Dies waren z.B. die Verlegung von Panzereinheiten, die Achromeev zu verantworten hatte, hinter dem Ural – ein offensichtlicher Bruch der Pariser Charta[79] oder die Ereignisse um den abzuschließenden Freundschaftsvertrag mit Deutschland oder der schon erwähnte Versuch Pavlovs, mehr Macht an sich zu binden.
Aber auch Ševardnadse kommt zu dem Schluss, dass es ein „himmelschreiender, ungesetzlicher, verfassungswidriger Sturz des gesetzlichen Präsidenten“ gewesen ist und das letztendlich „diejenigen den Präsidenten geschützt, die er [Gorbačev] verraten, denen er mitraut hat: Boris Jelzin, das Volk Russlands und Moskaus, die demokratischen Bewegungen und Parteien, seine ehemaligen Kampfgefährten“.[80]
Im Rahmen dieser Arbeit konnten die Wahrnehmungen und Meinungen der Putschisten nicht berücksichtigt werden. Jedoch sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass einige der am Putsch Beteiligten in den nachfolgenden Jahren Bücher[81] veröffentlichten, in denen sie sich und ihre Taten zu rechtfertigen versuchten; auch versuchten sie, ihre Beteiligung am Putsch herunterspielen oder ihren „Mitstreitern“ die volle Verantwortung zuzuschreiben.[82] Sie machten auch darauf aufmerksam, dass sie im guten Glauben handelten, die Sowjetunion (und damit auch die KPdSU), ja, ihr Lebenswerk, retten zu wollen.
Zwar wurden einige der Putschisten eingesperrt, jedoch nie rechtskräftig verurteilt; spätestens aufgrund einer Amnestie im Jahre 1994[83] waren alle Putschisten wieder frei.[84]
Ja, er findet sogar drastische Worte dafür, indem er sagt, dass „kein anderer, sondern er selbst [...] die Junta hochgepäppelt [hat] durch seine Fahrlässigkeit, seine Unentschlossenheit und seine Neigung zum Lavieren, durch seinen Mangel an Menschenkenntnis, durch seine Gleichgültigkeit gegenüber seinen wahren Kampfgefährten …“[78] Eben deshalb ist Ševardnadse auch von seinem Amt als Außenminister der Sowjetunion schon im Dezember 1990 zurückgetreten.
Auch hätte Gorbačev die unverhohlen offenen Anzeichen seines schwindenden Machteinflusses erkennen müssen. Dies waren z.B. die Verlegung von Panzereinheiten, die Achromeev zu verantworten hatte, hinter dem Ural – ein offensichtlicher Bruch der Pariser Charta[79] oder die Ereignisse um den abzuschließenden Freundschaftsvertrag mit Deutschland oder der schon erwähnte Versuch Pavlovs, mehr Macht an sich zu binden.
Aber auch Ševardnadse kommt zu dem Schluss, dass es ein „himmelschreiender, ungesetzlicher, verfassungswidriger Sturz des gesetzlichen Präsidenten“ gewesen ist und das letztendlich „diejenigen den Präsidenten geschützt, die er [Gorbačev] verraten, denen er mitraut hat: Boris Jelzin, das Volk Russlands und Moskaus, die demokratischen Bewegungen und Parteien, seine ehemaligen Kampfgefährten“.[80]
Im Rahmen dieser Arbeit konnten die Wahrnehmungen und Meinungen der Putschisten nicht berücksichtigt werden. Jedoch sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass einige der am Putsch Beteiligten in den nachfolgenden Jahren Bücher[81] veröffentlichten, in denen sie sich und ihre Taten zu rechtfertigen versuchten; auch versuchten sie, ihre Beteiligung am Putsch herunterspielen oder ihren „Mitstreitern“ die volle Verantwortung zuzuschreiben.[82] Sie machten auch darauf aufmerksam, dass sie im guten Glauben handelten, die Sowjetunion (und damit auch die KPdSU), ja, ihr Lebenswerk, retten zu wollen.
Zwar wurden einige der Putschisten eingesperrt, jedoch nie rechtskräftig verurteilt; spätestens aufgrund einer Amnestie im Jahre 1994[83] waren alle Putschisten wieder frei.[84]
4. Zusammenfassung
Diesen Putsch zu bewerten, ist nicht ganz leicht. Gewiss, er verhinderte die Unterzeichnung des neuen Unionsvertrages, die für den 20.8.1991 anberaumt war. Unbestritten sind aber die negativen Konsequenzen, zu denen er führte, nämlich zum Untergang der Sowjetunion. Jedoch war der Staatsstreich im August des Jahres 1991 gewiss nicht die Ursache für den Zusammenbruch der UdSSR. Vielmehr war er dessen Anlass und die Teilrepubliken ergriffen die Gunst der Stunde und erklärten ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion, von der Zentralmacht und bereiteten somit das endgültige Aus einer zukünftigen Union Souveräner Staaten vor.
Und ganz gewiss trug Boris El’cin nicht zum Erhalt der Sowjetunion bei. Zwar erklärte Russland nicht seine Souveränität; es beanspruchte aber „vielmehr die Rechtsnachfolge der Sowjetunion“[85], was in der Folgezeit jedoch auch zu Streitigkeiten mit anderen Republiken führen sollte.[86] Die Gründung der GUS im Dezember, die die Handschrift El’cins trägt – obwohl dieser mit Gorbačev und anderen an einem neuen Unionsvertrag arbeitete – tat ihr übriges.
Es soll an dieser Stelle nicht spekuliert werden, ob der Putsch hätte verhindert werden können, jedoch muss in diesem Zusammenhang betont werden, dass es einige Anzeichen gab, die den Putsch zwar nicht unbedingt ankündigten, ihm jedoch m.E. den Weg ebneten.[87] Ähnlich wie schon in Litauen und Lettland, sollte auch in Moskau mit Hilfe eines Notstandskomitees versucht werden, die Spaltung und den Zerfall der Sowjetunion aufzuhalten. Aber genau wie im Baltikum, gelang dies nicht[88], zum einen aufgrund der Opferbereitschaft der Bevölkerung in Moskau, Leningrad (St. Petersburg) und anderen Städten, die demokratisch legitimierten Volksvertreter und ihre Institutionen mit dem eigenen Leben zu schützen; zum anderen aber auch aufgrund des umsichtigen Handelns von militärischen Entscheidungsträgern, die sich auf die Seite der demokratischen Kräfte stellten und so den Putschisten die Niederlage zufügten.
Und natürlich trug auch die Unentschlossenheit und Inkonsequenz der Putschisten dazu bei. Weder hatten sie populäre Führer noch Unterstützung aus dem Inland und nur relativ wenige im Inland. Zwar konnten sie Panzer auffahren lassen, wussten dann aber nicht weiter.[89] Dies soll gewiss keine Anerkennung einer positiven Leistung sein. Denn vielmehr waren sie es, die die Krise im August zu verantworten hatten.
Seit dem 8. Dezember 1991 gibt es die UdSSR nicht mehr.[90] An ihrer Stelle tritt die GUS[91], der am 21.12.1991 in Alma-Ata die restlichen ehemaligen Unionsrepubliken – außer Georgien und die baltischen Staaten – beitreten.
Es bleibt zu konstatieren, um es mit den Worten Torkes zu sagen, dass „der gescheiterte Putsch ungemein jenen Prozeß [beschleunigte], den er zu stoppen und rückgängig zu machen versuchte: den Vormarsch der Reformer, den Funktionsverlust der Partei [...]; die Umwandlung der Union in einen Staatenbund.“[92]
5. LiteraturverzeichnisUnd ganz gewiss trug Boris El’cin nicht zum Erhalt der Sowjetunion bei. Zwar erklärte Russland nicht seine Souveränität; es beanspruchte aber „vielmehr die Rechtsnachfolge der Sowjetunion“[85], was in der Folgezeit jedoch auch zu Streitigkeiten mit anderen Republiken führen sollte.[86] Die Gründung der GUS im Dezember, die die Handschrift El’cins trägt – obwohl dieser mit Gorbačev und anderen an einem neuen Unionsvertrag arbeitete – tat ihr übriges.
Es soll an dieser Stelle nicht spekuliert werden, ob der Putsch hätte verhindert werden können, jedoch muss in diesem Zusammenhang betont werden, dass es einige Anzeichen gab, die den Putsch zwar nicht unbedingt ankündigten, ihm jedoch m.E. den Weg ebneten.[87] Ähnlich wie schon in Litauen und Lettland, sollte auch in Moskau mit Hilfe eines Notstandskomitees versucht werden, die Spaltung und den Zerfall der Sowjetunion aufzuhalten. Aber genau wie im Baltikum, gelang dies nicht[88], zum einen aufgrund der Opferbereitschaft der Bevölkerung in Moskau, Leningrad (St. Petersburg) und anderen Städten, die demokratisch legitimierten Volksvertreter und ihre Institutionen mit dem eigenen Leben zu schützen; zum anderen aber auch aufgrund des umsichtigen Handelns von militärischen Entscheidungsträgern, die sich auf die Seite der demokratischen Kräfte stellten und so den Putschisten die Niederlage zufügten.
Und natürlich trug auch die Unentschlossenheit und Inkonsequenz der Putschisten dazu bei. Weder hatten sie populäre Führer noch Unterstützung aus dem Inland und nur relativ wenige im Inland. Zwar konnten sie Panzer auffahren lassen, wussten dann aber nicht weiter.[89] Dies soll gewiss keine Anerkennung einer positiven Leistung sein. Denn vielmehr waren sie es, die die Krise im August zu verantworten hatten.
Seit dem 8. Dezember 1991 gibt es die UdSSR nicht mehr.[90] An ihrer Stelle tritt die GUS[91], der am 21.12.1991 in Alma-Ata die restlichen ehemaligen Unionsrepubliken – außer Georgien und die baltischen Staaten – beitreten.
Es bleibt zu konstatieren, um es mit den Worten Torkes zu sagen, dass „der gescheiterte Putsch ungemein jenen Prozeß [beschleunigte], den er zu stoppen und rückgängig zu machen versuchte: den Vormarsch der Reformer, den Funktionsverlust der Partei [...]; die Umwandlung der Union in einen Staatenbund.“[92]
- Brown, Archie: Der Gorbatschow-Faktor – Wandel einer Weltmacht, Frankfurt/M. u.a. 2000
- Delavre, Tina (Hrsg.): Der Putsch in Moskau. Berichte und Dokumente, Frankfurt/M. u.a. 1992
- Gorbatschow, Michail: Der Staatsstreich, München 1991
- Gorbatschow, Michail: Der Zerfall der Sowjetunion, München 1992
- Gorbatschow, Michail: Erinnerungen, Augsburg 1995
- Jelzin, Boris: Auf des Messers Schneide. Tagebuch des Präsidenten, Berlin 1994
- Российское Информационное Агенство (Hrsg.): Хроника путча – Час за часом, Москва 1991
- Ruge, Gerd: Der Putsch – Vier Tage, die die Welt veränderten, Frankfurt/Main 1991
- Ruge, Gerd: Michail Gorbatschow – Biographie, Frankfurt/Main 1990
- Schewardnadse, Eduard/Gurkow, Andrej/Eichwede, Wolfgang: Revolution in Moskau – Der Putsch und das Ende der Sowjetunion, Reinbek 1991
- Schöllgen, Gregor: Geschichte der Weltpolitik von Hitler bis Gorbatschow 1941-1991, München 1996
- Simon, Gerhard und Nadja: Verfall und Untergang des sowjetischen Imperiums, München 1993
- Stökl, Günther: Russische Geschichte – Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 1997[6]
- Степанков, Валентин Г./Лисов, Евгений К.: Кремлёвский заговор – Версия следствия, Москва 1992
- Strauss, Wolfgang: Drei Tage, die die Welt erschütterten, Wesseling 1992
Endnoten
[1] Zur Biographie M.S. Gorbačevs seien hier nur stellvertretend erwähnt: Ruge, Gerd: Michail Gorbatschow, Frankfurt/Main 1990; Schmidt-Häuer, Christian: Michail Gorbatschow, München 1987; Gorbatschow, Michail: Erinnerungen, Berlin 1995.
[2] Eine graphische Darstellung seiner Partei-Karriere findet sich unter http://www.hrono.ru/biograf/gorby.html [Stand: 1.10.2004].
[3] Leonid Il’ič Brežnev (06./19.12.1906-10.11.1982), Erster Sekretär (1964-1966) bzw. Generalsekretär der KPdSU (1966-1982), Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR
[4] Zentralkomitee (ZK). Führungsgremium der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Es bestand aus etwa 14 Vollmitgliedern und einer geringeren Anzahl von Kandidaten, die meist nach dem Ableben eines Vollkandidaten nachrückten.
[5] Das Politische Büro der KPdSU war das eigentliche Führungs- und Entscheidungsorgan, sowohl der Partei als auch des Staates. Es bestand zuletzt aus 14 Vollmitgliedern und 6 Kandidaten. Es tagte meist einmal in der Woche.
[6] Jurij Vladimirovič Andropov (02./15.06.1914-09.02.1984), Generalsekretär der KPdSU, Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR
[7] Konstantin Ustinovič Černenko (11./24.09.1911-10.03.1985), Generalsekretär der KPdSU, Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR
[8] Weiterführende Literatur zu diesem Thema: Горбачев, Михаил: Перестройка и новое мышление для нашей страны и для всего мира, Москва 1987; Горбачев, Михаил: Избранные речи и статьи 1-7, Москва 1987-1990
[9] Zahlenangaben zu den vorgenommenen Personalentscheidungen finden sich bei Simon, S. 38.
[10] „Staatliche Qualitätskontrolle“, „Anti-Alkohol-Kampagne“, Vgl. Simon, S. 36
[11] Glasnost’ meint u.a. Offenheit, Öffentlichkeit, Transparenz. Damit ist noch nicht Rede- und Meinungsfreiheit gemeint, wie sie in westlichen Demokratien verstanden wird, sondern vielmehr der Versuch, über bestimmte Tatsachen, „wahrheitsgemäß“ zu berichten. Vgl. Simon, S. 44.
[12] „Die führende und lenkende Kraft der sowjetischen Gesellschaft, der Kern ihres politischen Systems, der staatlichen Organe und gesellschaftlichen Organisationen ist die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU). Die KPdSU ist für das Volk da und dient dem Volk. Mit der marxistisch-leninistischen Lehre ausgerüstet, legt die Kommunistische Partei die Grundrichtung der gesellschaftlichen Entwicklung, die Linie der Innen- und Außenpolitik der UdSSR fest, leitet sie die große schöpferische Tätigkeit des Sowjetvolkes und verleiht seinen Kampf für den Sieg des Kommunismus planmäßigen, wissenschaftlich begründeten Charakter.“ In: Verfassung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 7. Oktober 1977, hier: Online-Publikation unter URL: http://www.verfassungen.de [Stand: 24.02.2004]
[13] So bestand er darauf, dass Bakatin seinen Stuhl zugunsten Pugos räumen musste. Und er ernannte Janaev zu seinem Stellvertreter im Amt des Präsidenten der UdSSR. Selbst Krjučkov, der wohl für die blutigen Ereignisse im Baltikum verantwortlich ist, wurde von Gorbačev in sein Amt verholfen.
[14] Estland erklärt seine Unabhängigkeit am 13.11.1989, Litauen folgt am 11.3.1990 und Lettland am 3.5.1990.
[15] Ihr vorausgegangen waren Initiativen seit November 1990, vornehmlich von M.S. Gorbačev und B.N. El’cin. Vgl. Brown, S. 470.
[16] Im Zuge der Souveränitätserklärungen vieler Republiken im Jahre 1990 durch die jeweiligen Obersten Sowjets begann der so genannte Krieg der Gesetze, vornehmlich zwischen der Union und Russland. Damit ist die konkurrierende Gesetzgebung gemeint. Teilrepubliken setzten Unionsgesetze außer Kraft; die Union wiederum erklärte die Gesetze der Republiken für ungültig. Vgl. Brown, S. 469.
[17] Benannt nach dem Moskauer Vorort. Dort befand sich seinerzeit ein Landsitz des sowjetischen Präsidenten, der heute dem Präsidenten der Russländischen Föderation zur Verfügung steht.
[18] Daher wird er auch „9+1“-Prozeß genannt.
[19] Diesem Vertragswerk gingen weitere Entwürfe voraus. Die ersten wurden aber auf Grund ihrer Widersprüchlichkeiten zwischen den Souveränitätsvorstellungen von Union einerseits und den Republiken andererseits durchweg abgelehnt. Der letzte Entwurf sollte ursprünglich in Moskau am 20. August 1991 unterschrieben werden und damit den Weg zu einem endgültigen neuen Vertrag über die Union ebnen. Vgl. Schewardnadse, S. 176-180, Brown, S. 467-480,
[20] Die Veränderungen wiesen große Ähnlichkeiten zur EG/EU auf, jedoch mit einem starken, von der ganzen Union gewählten Präsidenten als Staatsoberhaupt. Vgl. Brown, S. 472.
[21] „Слово к народу“. Eine Übersetzung des Zeitungsartikels findet sich in: Simon, S. 296-301. Online ist der Originaltexte unter http://www.zavtra.ru/cgi/veil/data/denlit/050/12.html [Stand: 05.06.2004] verfügbar.
[22] Dies waren unter anderem: G. Zjuganov, V. Varennikov, V. Starodubcev, A. Tizjakov. Dies zeigt einmal mehr, dass sogar Regierungsmitglieder den von Gorbačev eingeschlagenen Kurs nicht teilten und dieser somit nicht das Vertrauen seiner Regierungsmannschaft genoss. Vgl. Simon, S. 301.
[23] Diese Gruppe gehörte dann zu den entschiedenen Befürwortern des Putsches. Vgl. РИА, S. 7.
[24] In: Simon, S. 299.
[25] In: Simon, S. 297.
[26] Hier ging es vor allem um das Recht der Gesetzesinitiative für die Fachminister. Da dies jedoch nicht in Absprache mit Gorbačev geschah – die Kompetenzanmaßung wurde auch schon wieder fünf Tage später vom Obersten Sowjet zurückgenommen – kann dies als „zaghafter“ Putschversuch angesehen werden. Vgl. Brown, S. 474f.
[27] So arbeitete nur eine kleine Gruppe von vier Gorbačev-Vertrauten die Endfassung des unterschriftsreifen neuen Unionsvertrages aus: Georgij Chosroevič Šachnazarov (04.10.1924-15.05.2001), Grigorij Ivanovič Revenko (* 1936), Vladimir Nikolaevič Kudrjavcev (* 10.04.1923), Boris Nikolaevič Topornin
(* 29.12.1929).
[28] Vgl. Simon, S. 137.
[29] Vgl. Simon, S. 102.
[30] Des Weiteren soll hier erwähnt sein, dass in einem vertraulichen Gespräch zwischen Gorbačev, El’cin und dem kasachischen Präsidenten Nazarbaev auch schon über Personalfragen diskutiert wurde. Dieses wurde jedoch abgehört; entsprechende Tonbänder wurden bei Boldin gefunden. So standen zum Beispiel Jazov, Krjučkov und Pavlov zur Disposition – gewiss ein Anreiz dafür, dass diese drei dem Notstandskomitee angehörten. Vgl. Brown, S. 479 und Gorbatschow, S. 1068.
[31] Anatolij Aleksandrovič Sobčak (10.08.1937-20.02.2000), Bürgermeister von Leningrad/St. Petersburg, Berater Gorbačevs, schreibt davon in seinem Buch Für ein neues Russland. Unser Kampf um Recht und Demokratie, Bergisch Gladbach 1991, S. 401-420 und gewährt einen Einblick in die Ereignisse in Leningrad.
[32] Oleg Dmitrievič Baklanov (* 17.03.1932), stellv. Vorsitzender des Verteidigungsrates der UdSSR, Sekretär des ZK der KPdSU. Die Positionen und Ämter der entsprechenden Personen geben den Stand zu Beginn des Putsches am 18.8.1991 wieder.
[33] Oleg Semenovič Šenin (* 22.07.1937), Sekretär des ZK der KPdSU, Mitglied des Politbüro
[34] Valerij Ivanovič Boldin (*1935), Leiter der Allgemeinen Abteilung des ZK der KPdSU
[35] Valentin Ivanovič Varennikov (* 15.12.1923), Armeegeneral, Oberkommandierender der Bodentruppen und stellv. Verteidigungsminister der UdSSR
[36] Jurij Sergeevič Plechanov (1930-10.07.2002), Generalleutnant, Leiter der Abteilung 9 (Bewachungsdienst) des KGB
[37] Государственной Комитет по чрезвычайному положению (ГКЧП).
[38] Gennadij Ivanovič Janaev (* 26.08.1937), Vizepräsident der UdSSR, Sekretär des ZK der KPdSU, Mitglied des Politbüro der KPdSU, Volksdeputierter der UdSSR. Diese sowie die folgenden Angaben über die Putschisten sind Степанков/Лисов: Кремлёвский Заговор, Москва 1992 entnommen.
[39] Valentin Sergeevič Pavlov (26.09.1937-30.03.2003), Premierminister der UdSSR, Mitglied des ZK der KPdSU, Mitglied des Sicherheitsrates der UdSSR
[40] Vladimir Aleksandrovič Krjučkov (* 29.02.1924), Armeegeneral, Vorsitzender des KGB, Mitglied des Politbüro des ZK der KPdSU
[41] Boris Karlovič Pugo (19.02.1937-22.08.1991)
[42] Aleksandr Ivanovič Tizjakov (* 10.12.1926), Präsident der Vereinigung der Staatsbetriebe und Industrieobjekte, des Bau- sowie Post- und Fernmeldewesens
[43] Dmitrij Timofeevič Jazov (* 08.11.1923), Marschall der Sowjetunion, Verteidigungsminister der UdSSR, Mitglied des ZK der KPdSU
[44] Vasilij Aleksandrovič Starodubcev (* 25.12.1931), Vorsitzender der Bauernunion der UdSSR, Mitglied des ZK der KPdSU, Volksdeputierter der UdSSR
[45] Vgl. РИА (Hrsg.): Хроника путча, S. 2.
[46] Anatolij Ivanovič Luk’janov (* 07.05.1930), Vorsitzender des Obersten Sowjets der UdSSR
[47] Diesbezüglich schien der Putsch „gut vorbereitet“ zu sein. Es wurden hunderte Blanko-Haftbefehle gefunden, von denen zum Glück nur einige wenige in die Tat umgesetzt werden konnten.
[48] Ivan Stepanovič Silaev (* 21.10.1930), Vorsitzender des Ministerrates Russlands
[49] Dmitrij Komar, Il’ja Kričevski, Vladimir Uzov werden am 24.8.1991 unter großer Anteilnahme des Volkes beerdigt und posthum zu Helden der Sowjetunion ernannt.
[50] Vladimir Antonovič Ivaško (* 28.10.1932), Mitglied des Politbüro, stellv. Generalsekretär des ZK der KPdSU
[51] In: Delavre, S. 180.
[52] Aleksandr Vladimirovič Ruckoj (* 16.09.1945), Vizepräsident Russlands
[53] Vadim Viktorovič Bakatin (* 06.11.1937), ehem. Innenminister der UdSSR
[54] Evgenij Maksimovič Primakov (* 29.10.1929), Mitglied des Sicherheitsrates der UdSSR
[55] Der russische Präsident El’cin hatte sich mittlerweile zum Oberbefehlshaber aller Unionsstreitkräfte auf russischem Boden ausgerufen.
[56] Vgl. Степанков/Лисов, S. 219.
[57] Estland (20.8.), Lettland (21.8.), Ukraine (24.8.), Weißrussland (25.8.), Moldova (27.8.), Azerdajdžan (30.8.), Kirgistan (31.8.), Uzbekistan (31.8.), Tadžikistan (9.9.), Armenien (23.9.). Vgl. Ruge: Der Putsch, S. 280.
[58] In deren Verfassung es heißt „Zur Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken sind vereint: Die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik […]“ usw. Vgl. FN 14.
[59] Eine deutsche Übersetzung findet sich in: Gorbatschow, Michail: Der Zerfall, S. 228-255.
[60] Stanislav Stanislavovič Šuškevič (* 15.12.1934), Leonid Makarovič Kravčuk (* 10.01.1934)
[61] Näher beschrieben in: Merkel, Wolfgang: Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung, Opladen 1999.
[62] Diesem gehörten die russischen Minister Ivan Silaev, Grigorij Alekseevič Javlinskij (* 10.04.1952), Jurij Michajlovič Lužkov (* 21.09.1936), Arkadij Ivanovič Vol’skij (* 15.05.1932) sowie Vertreter der 15 Republiken an – die baltischen Staaten hatten jedoch nur einen Beobachterstatus inne.
[63] Erklärtes Ziel Gorbačevs war es, die Union „durch Umwandlung in eine Föderation zu erhalten und die KPdSU durch Reformen zu einer politischen Partei der Linken zu machen“. Gorbatschow, Michail: Erinnerungen, S. 1088.
[64] Vgl. Ebd., S. 1088.
[65] Vgl. Ebd., S. 1087.
[66] Ebd., S. 1089.
[67] Ebd.
[68] Er räumt jedoch ein, dass laut Verfassung innerhalb einer Woche der Oberste Sowjet einberufen werden muss, und dass es Lücken im System gab. Da Luk’janov aber aus der Sicht Gorbačevs ein enger Weggefährte war, hatte er von ihm entschiedenes Handeln erwartet. So konnte sich Luk’janov jedoch alle Optionen offen halten und je nach dem, wie der Putsch ausgegangen wäre, entsprechend handeln können. So gehörte er nicht dem Notstandskomitee an, war aber in Einzelheiten eingeweiht. Wohl darum führt ihn Gorbačev im Personenregister seines Buches Der Zerfall der Sowjetunion als Mitglied des Notstandskomitees an. Einen ähnlichen Vorwurf erhebt auch Boris El’cin, allerdings in Richtung Gorbačev.
[69] Ebd.
[70] Ebd., S. 1107.
[71] Vgl. Jelzin, Boris: Auf des Messers Schneide, S. 47.
[72] Ebd., S. 71.
[73] Ebd., S. 81.
[74] Ebd., S. 110.
[75] Ebd., S. 25.
[76] Ebd.
[77] Ausführlich dazu: Schewardnadse, Eduard: Die Zukunft gehört der Freiheit, Reinbek 1991.
[78] Schewardnadse, S. 34.
[79] Sergej Fedorovič Achromeev (05.05.1923-25.08.1991), ehem. Generalstabschef, Berater des Präsidenten der UdSSR. Er beging, obwohl nicht im GKČP, für dieses jedoch aber große Sympathien hatte, nach dem Putsch Selbstmord. Die Pariser Charta vom 19. November 1990 sah eine Truppenbegrenzung und Vernichtung von militärischem Equipment in Europa vor. Jedoch wurden sowjetische Panzer nicht vernichtet, sondern einfach aus Europa nach Asien – also einfach hinter den Ural – gebracht. Das Vertragswerk ist online unter URL http://www.osce.org/docs/english/1990-1999/cfe/cfetreate.pdf [Stand: 5.6.2004] verfügbar.
[80] Schewardnadse, S. 33f.
[81] So gab es Gerüchte, dass Gorbačev selbst den Putsch inszeniert hat. Mehrere Putschisten schrieben, Gorbacev hätte auch den Ernst der Lage erkannt, jedoch wollte bzw. konnte er keine drastischen Maßnahmen durchführen, wohl auch um sein internationales Ansehen nicht zu zerstören. Stattdessen ließ er die Putschisten gewähren, meldete sich krank und wollte erst dann wieder (genesen) nach Moskau zurückkehren, als die „Drecksarbeit“ getan war. Damit konnte er sowohl sein Ansehen erhalten, als auch die innenpolitische Lage zu „seinen Gunsten“ nutzen (Dass dies ganz offensichtlich nicht der Wahrheit entsprach, zeigt die Literatur und die widersprüchlichen Handlungsweisen der Putschisten, gerade im Hinblick auf ihren Versuch, am 21.8. zur Krim zurückzukehren.). Unter anderem versuchen sich so oder so ähnlich zu rechtfertigen: Крючков, В.А.: Личное дело – В 2 ч. Ч. 2, Москва 1996; Ивашов, Л.Г.: Маршал Язов (Роковой август 91-го), Вельск 1993; Павлов, В.: Август изнутри – Горбачевпутч, Москва 1993.
[82] So beschuldigt Janaev Pavlov als Hauptverantwortlichen der August-Ereignisse. Vgl. Степанков/Лисов, S. 53
[83] Im Februar 1994 beschloss die Staatsduma mit 252 gegen 67 Stimmen die Freilassung der Putschisten vom August 1991 als auch die Freilassung derjenigen, die im Oktober 1993 den Kampf ums Weiße Haus gegen Boris El’cin verloren.
[84] Einige der Putschisten sind heute Pensionäre, z.B. Janaev. Andere, wie z.B. Jazov beraten den amtierenden russischen Präsidenten Putin. Armeegeneral Varennikov, der zwar nicht aktiv im Notstandkomitee mitgewirkt hat, jedoch dessen Unterstützer war, ist heute Mitglied der Staatsduma.
[85] In: Simon, S. 138.
[86] Erwähnt seien hier nur der Streit mit der Ukraine um die Schwarzmeerflotte oder den Abzug von Kernwaffen aus Kasachstan.
[87] Siehe Kap. 2.3.
[88] Vgl. Simon, S. 146f.
[89] Vgl. Brown, S. 482.
[90] Russland, Belarus und die Ukraine erklären die UdSSR an diesem Tage für aufgelöst.
[91] Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Содружество Независимых Государств (СНГ). Diese ist mit der alten Sowjetunion nicht zu vergleichen. Sie weist aber Ähnlichkeiten mit der EU auf.
[92] Torke, Hans-Joachim (Hrsg.): Historisches Lexikon der Sowjetunion 1917/22 bis 1991, München 1993
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen