1. Einleitung
Die Smuta – die Zeit der Wirren – ist jene Epoche der russischen Geschichte am Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts, die durch vielfältige Spannungen gekennzeichnet ist. So hinterlässt der verstorbene Ivan IV. Groznyj einen schwachsinnigen Thronfolger, der nicht fähig ist, das Land zu regieren. Der Tod seines Nachfolgers, des Zaren Fedor Ivanovič bedeutet nicht nur das Aussterben der Rjurikiden-Dynastie, sondern auch den Beginn von Bauernunruhen, die allmählich bürgerkriegsähnliche Züge annehmen. Missernten und Hungersnöte bilden die willkommene Grundlage dafür, einen von ausländischen Interventionstruppen unterstützten Prätendenten in Moskau zu installieren. Dieser geht in die Geschichte als Falscher Dmitrij ein, vorgebend, ein Sohn Ivans IV. zu sein.
Das Augenmerk im ersten Teil der Arbeit liegt darin, die authentischen Ereignisse und Umstände der „wirren Zeit“ zu charakterisieren. Im zweiten Teil soll kurz skizziert werden, wie das Thema der Smuta in der russischen und westeuropäischen Literatur verarbeitet wurde. Dabei sollen wesentliche inhaltliche Unterschiede herausgestellt werden.
Die Lebensdaten der im 2. Kapitel angegebenen Personen sind, wenn nicht anders ausgewiesen, Torkes Die russischen Zaren 1547-1917 entnommen. Im Übrigen gilt für diese Daten der Julianische Kalender.
Das Augenmerk im ersten Teil der Arbeit liegt darin, die authentischen Ereignisse und Umstände der „wirren Zeit“ zu charakterisieren. Im zweiten Teil soll kurz skizziert werden, wie das Thema der Smuta in der russischen und westeuropäischen Literatur verarbeitet wurde. Dabei sollen wesentliche inhaltliche Unterschiede herausgestellt werden.
Die Lebensdaten der im 2. Kapitel angegebenen Personen sind, wenn nicht anders ausgewiesen, Torkes Die russischen Zaren 1547-1917 entnommen. Im Übrigen gilt für diese Daten der Julianische Kalender.
2. Der Falsche Dmitrij als historische Person
2.1. Zur Person des wahren Dmitrij im Kontext seiner Zeit
Ivan IV.[1] ist mehrmals verheiratet. Aus seiner ersten Ehe mit Anastasija Romanova[2] gehen mehrere Kinder hervor, u.a. die Söhne Dmitrij, Ivan und Fedor. Dmitrij Ivanovič stirbt schon im Alter von nur wenigen Monaten bei einem Unfall.[3] Ivan Ivanovič stirbt ebenfalls eines unnatürlichen Todes.[4] So ist es der schwachsinnige Fedor Ivanovič[5], der Ivan IV. im Jahre 1584 auf den Thron folgt. Auf Grund der psychischen Situation des neuen Zaren wird ihm – noch auf Geheiß seines Vaters – ein Regentschaftsrat[6] zur Seite gestellt. Oberhaupt und somit de facto Herrscher über Russland ist anfangs der Onkel des Zaren, Nikita Zacharin. Ab 1587 wird dies Boris Godunov[7] sein, der Schwager des Zaren. Als Fedor im Jahre 1598 stirbt, wählt der zemskij sobor den bisherigen Regenten zum neuen Zaren.[8]
Die letzte Ehefrau Ivans IV., Marija Nagaja[9], gebärt ihrem Mann nochmals einen Sohn. Auch dieser wird Dmitrij[10] genannt. Da er keine körperlichen oder geistigen Gebrechen aufweist, ist es nicht ganz abwegig, dass dieser späterhin Zar werden kann. Doch auch in diesem Falle verhindert ein vorzeitiger Tod die Thronfolge. Soviel steht fest: Dmitrij Ivanovič stirbt achtjährig am 15.5.1591 in Uglič[11].
Die Umstände des Todes jedoch bleiben ungeklärt. So gibt es Vermutungen, dass Boris Godunov sich seines potentiellen, zukünftigen Konkurrenten entledigen wollte.[12] Eine offizielle Untersuchungskommission unter der Leitung von Vasilij Šujskij[13] konnte dies jedoch nicht bestätigen[14] und sieht vielmehr einen epileptischen Anfall des Jungen als Todesursache. Andere Quellen vermuten dahinter eine Intrige der Gegner Godunovs[15]. Diese sind vorrangig unter den altadligen Mitregenten zu suchen; in ihren Augen ist Godunov nur ein Emporkömmling, eines Regenten und späteren Zaren nicht würdig. In der Tat verdankt Godunov seinen Aufstieg u.a. dem Dienst in der Opričnina[16] und der Heirat mit Marija Skuratova[17].
Die letzte Ehefrau Ivans IV., Marija Nagaja[9], gebärt ihrem Mann nochmals einen Sohn. Auch dieser wird Dmitrij[10] genannt. Da er keine körperlichen oder geistigen Gebrechen aufweist, ist es nicht ganz abwegig, dass dieser späterhin Zar werden kann. Doch auch in diesem Falle verhindert ein vorzeitiger Tod die Thronfolge. Soviel steht fest: Dmitrij Ivanovič stirbt achtjährig am 15.5.1591 in Uglič[11].
Die Umstände des Todes jedoch bleiben ungeklärt. So gibt es Vermutungen, dass Boris Godunov sich seines potentiellen, zukünftigen Konkurrenten entledigen wollte.[12] Eine offizielle Untersuchungskommission unter der Leitung von Vasilij Šujskij[13] konnte dies jedoch nicht bestätigen[14] und sieht vielmehr einen epileptischen Anfall des Jungen als Todesursache. Andere Quellen vermuten dahinter eine Intrige der Gegner Godunovs[15]. Diese sind vorrangig unter den altadligen Mitregenten zu suchen; in ihren Augen ist Godunov nur ein Emporkömmling, eines Regenten und späteren Zaren nicht würdig. In der Tat verdankt Godunov seinen Aufstieg u.a. dem Dienst in der Opričnina[16] und der Heirat mit Marija Skuratova[17].
2.2. Zur Person des Falschen Dmitrij
Es scheint erwiesen, dass sich um die Jahrhundertwende ein gewisser Grigorij Otrep’ev als vermeintlicher Zarensohn Dmitrij Ivanovič ausgibt und somit in die Geschichte als Falscher Dmitrij[18] (Pseudodemetrius oder auch Lžedmitrij[19]) eingeht. Er entstammt einer kleinadeligen Familie aus Galicien.[20] Als Waise lebt er vermutlich in verschiedenen Klöstern; wahrscheinlich erhält er die Weihe als Diakon. Zeitweilig hält er sich auch im Čudo-Kloster im Moskauer Kreml’ auf. Dies bietet ihm „die Gelegenheit, die Umgangsformen in der Residenz des Zaren und des Patriarchen kennenzulernen und sich über politische Verhältnisse zu unterrichten […] auf jedem Fall war ihm die Unzufriedenheit hochgestellter Personen [über das Regieren Boris Godunovs] ebenso bekannt, wie die Gerüchte über den angeblich geretteten ‚carevič’“.[21]
Um 1603/1604 erscheint Otrep’ev am Hofe des polnischen Fürsten Wiśniowiecki und inszeniert dort seine „Entdeckung“ als tot geglaubter Zarensohn. Er verbreitet die Legende, dass nicht Zar Ivans IV. Sohn 1591 gestorben ist, sondern ein ihm ähnlich aussehendes anderes Kind. So konnte er „überleben“ und über Irrwege nach Polen gelangen. Dort tritt er in Kontakt mit dem Voevoden von Sandomierz Jerzy Mniszech, dessen Tochter er später heiratet[22]. Mniszech ist es auch, der ihn am polnischen Königshof einführt, wo er unter anderem von König Zygmunt und auch vom päpstlichen Nuntius Claudio Rangoni empfangen wird. Von Polen aus, will der Prätendent im Jahre 1603/1604 nach Moskau ziehen, um sein rechtmäßig geglaubtes Erbe, den Zarenthron, anzutreten.
Jedoch regt sich auch Widerstand unter polnischen Adeligen, die sich nicht in ein waghalsiges Abenteuer mit dem Moskauer Reich stürzen wollen; zumal es einen Friedensvertrag zwischen Russland und Polen gibt.[23] So gibt es nur geheime Absprachen zwischen dem Falschen Dmitrij und dem polnischen König, da der Sejm Handlungen, die zu einem Krieg mit Russland führen können, wohl nicht zugestimmt hätte.
Um 1603/1604 erscheint Otrep’ev am Hofe des polnischen Fürsten Wiśniowiecki und inszeniert dort seine „Entdeckung“ als tot geglaubter Zarensohn. Er verbreitet die Legende, dass nicht Zar Ivans IV. Sohn 1591 gestorben ist, sondern ein ihm ähnlich aussehendes anderes Kind. So konnte er „überleben“ und über Irrwege nach Polen gelangen. Dort tritt er in Kontakt mit dem Voevoden von Sandomierz Jerzy Mniszech, dessen Tochter er später heiratet[22]. Mniszech ist es auch, der ihn am polnischen Königshof einführt, wo er unter anderem von König Zygmunt und auch vom päpstlichen Nuntius Claudio Rangoni empfangen wird. Von Polen aus, will der Prätendent im Jahre 1603/1604 nach Moskau ziehen, um sein rechtmäßig geglaubtes Erbe, den Zarenthron, anzutreten.
Jedoch regt sich auch Widerstand unter polnischen Adeligen, die sich nicht in ein waghalsiges Abenteuer mit dem Moskauer Reich stürzen wollen; zumal es einen Friedensvertrag zwischen Russland und Polen gibt.[23] So gibt es nur geheime Absprachen zwischen dem Falschen Dmitrij und dem polnischen König, da der Sejm Handlungen, die zu einem Krieg mit Russland führen können, wohl nicht zugestimmt hätte.
2.3. Zur innenpolitischen Situation Russlands
Die Jahre 1602 und 1603 sind von Missernten geprägt. In deren Folge kommt es zu Hungersnöten, Seuchen und Landflucht. Bauern verlassen ihre Herren – teils werden sie verstoßen[24], teils wird es ihnen erlaubt[25]. Unruhen unter der Führung des Knechtes Chlopko[26], die teilweise bürgerkriegsähnliche Züge annehmen, sind besonders für Südrussland charakteristisch.
Gerüchte gehen um, Zar Boris könnte daran Mitschuld tragen. Aberglaube, freilich, doch dieser scheint im russischen Volk sehr verbreitet zu sein. Gleichzeitig verstummen Gerüchte nicht, Boris habe den Tod des Dmitrij Ivanovič im Jahre 1591 zu verantworten und somit müsse das Volk nun in Form von Gottes- bzw. Naturvergeltung dafür zahlen. Wieder ganz andere Gerüchte besagen, Dmitrij hätte auf wundersame Weise überlebt und versucht nun, sein Erbe, sprich den Zarenthron, einzufordern.
In Wirklichkeit ist dies jener entlaufene Mönch Otrep’ev. Im Jahre 1604, mit einem Heer von wenigstens zweitausend polnischen wie russischen Söldnern, stößt der Falsche Dmitrij von Lemberg aus in Richtung Süden vor, um sich auch der Mithilfe von Kosakenstämmen zu versichern. König Zygmunts III. derweil erklärt diversen Moskauer Gesandtschaften gegenüber, dass zwischen beiden Reichen Frieden besteht. Jedoch hat er keine Autorität über den Adel, wenn dieser auf ausländischen Kriegsschauplätzen aktiv wird.
Unterstützt von der lokalen Bevölkerung, erreicht die Streitmacht des Prätendenten bald eine Stärke von mehr als 20.000 Mann. Zur Jahreswende 1604/1605 gerät der Vormarsch kurzzeitig ins Stocken, Erfolge bleiben aus und Unmut macht sich breit. Jedoch kann das Heer des Prätendenten zahlreiche kampflose Erfolge verbuchen; scheint die Bevölkerung im Süden dem Zaren Boris nicht besonders gesonnen zu sein. Die militärischen Erfolge des Prätendenten gehen mit dem Macht- und Autoritätsverlust des Zaren Boris einher. Und besonders beim alten Adel nähren sich die Hoffnungen auf einen baldigen Zusammenbruch der Godunovschen Macht, so dass ein künftiger Herrscher aus ihren Reihen kommen kann.
Wahrscheinlich infolge eines Blutsturzes stirbt Boris Godunov am 13.4.1605. Gerüchte besagen, der Zar habe sich aufgrund der aussichtslosen Lage das Leben genommen. Zwar bezeugen die Bojaren seinem Sohn und Nachfolger Fedor Borisovič ihre Treue; doch wenig später wechselt das zarische Heer unter Basmanov[27] die Seiten und kämpft nun an der Seite des Falschen Dmitrij. Die Episode Fedor Godunov endet ziemlich schnell, am 1.6.1605; der Zar und seine Mutter werden erdrosselt. Nun steht dem Einzug des Prätendenten in Moskau nichts mehr im Wege. Drei Tage vor der Krönung des Falschen Dmitrij zum Zaren aller Russen, findet in Moskau eine weitere Inszenierung statt: die letzte Frau Ivans IV. und Mutter des wahren Dmitrij, Marija Nagaja, seit 1592 die Nonne Marfa, erkennt im Pseudodemetrius ihren Sohn wieder. Im Herbst 1605 wird der Falsche Zar mit Marina Mniszek nach lateinischem Ritus in Krakau getraut. Die russische Trauung findet am 9.5.1606 in Moskau statt. Jedoch ist dieser Tag in der Orthodoxie ein Fasttag, dem Hl. Nikolaj gewidmet. Damit zieht sich der neue Zar den Unmut der Moskauer zu. Bald jedoch beginnt die Stimmung im ganzen Moskauer Reich zu kippen. Sein Lebens- und Regierungsstil (selbstherrliches Auftreten und Nichtbeachten der orthodoxen Regeln; Bevorzugung seiner polnischen Helfer) lassen sein Ansehen aber auch bei der ländlichen Bevölkerung sinken. So sind es denn die Bauern, die sich gegen ihn mobilisieren, da er auch die früheren Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Herr und Bauer wieder einrichten will.[28]
Die politische Lage bleibt unbeständig. Nach nur elf Monaten geht der Spuk des Falschen Zaren zu Ende. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen kann der Falsche Dmitrij seine polnischen Kampfgefährten auf Grund leerer Kassen nicht wie versprochen entlohnen. Zum anderen gelingt es einigen russischen Altadeligen unter Vasilij Šujskij[29], den Unmut der Bevölkerung nutzend, einen gewaltsamen Putsch gegen den Falschen Zaren zu initiieren, in deren Ende er am 17.6.1606 durch Gewehrschüsse ums Leben kommt.
Danach wird Vasilij Šujskij zum Zaren gewählt. Doch auch er vermag es nicht, Stabilität in Russland aufzubauen und wird am 16.7.1610 von seinen Gegner – die einem zweiten Falschen Dmitrij[30] folgen – zum Thronverzicht gezwungen und als Mönch geweiht.[31] De facto herrscht danach ein dreijähriges Interregnum[32], das mit der Wahl Michail Romanovs[33] zum Zaren am 11.07.1613 endet. Erst dann kann eine allmähliche Stabilisierung der politischen Situation in Russland erfolgen.
Gerüchte gehen um, Zar Boris könnte daran Mitschuld tragen. Aberglaube, freilich, doch dieser scheint im russischen Volk sehr verbreitet zu sein. Gleichzeitig verstummen Gerüchte nicht, Boris habe den Tod des Dmitrij Ivanovič im Jahre 1591 zu verantworten und somit müsse das Volk nun in Form von Gottes- bzw. Naturvergeltung dafür zahlen. Wieder ganz andere Gerüchte besagen, Dmitrij hätte auf wundersame Weise überlebt und versucht nun, sein Erbe, sprich den Zarenthron, einzufordern.
In Wirklichkeit ist dies jener entlaufene Mönch Otrep’ev. Im Jahre 1604, mit einem Heer von wenigstens zweitausend polnischen wie russischen Söldnern, stößt der Falsche Dmitrij von Lemberg aus in Richtung Süden vor, um sich auch der Mithilfe von Kosakenstämmen zu versichern. König Zygmunts III. derweil erklärt diversen Moskauer Gesandtschaften gegenüber, dass zwischen beiden Reichen Frieden besteht. Jedoch hat er keine Autorität über den Adel, wenn dieser auf ausländischen Kriegsschauplätzen aktiv wird.
Unterstützt von der lokalen Bevölkerung, erreicht die Streitmacht des Prätendenten bald eine Stärke von mehr als 20.000 Mann. Zur Jahreswende 1604/1605 gerät der Vormarsch kurzzeitig ins Stocken, Erfolge bleiben aus und Unmut macht sich breit. Jedoch kann das Heer des Prätendenten zahlreiche kampflose Erfolge verbuchen; scheint die Bevölkerung im Süden dem Zaren Boris nicht besonders gesonnen zu sein. Die militärischen Erfolge des Prätendenten gehen mit dem Macht- und Autoritätsverlust des Zaren Boris einher. Und besonders beim alten Adel nähren sich die Hoffnungen auf einen baldigen Zusammenbruch der Godunovschen Macht, so dass ein künftiger Herrscher aus ihren Reihen kommen kann.
Wahrscheinlich infolge eines Blutsturzes stirbt Boris Godunov am 13.4.1605. Gerüchte besagen, der Zar habe sich aufgrund der aussichtslosen Lage das Leben genommen. Zwar bezeugen die Bojaren seinem Sohn und Nachfolger Fedor Borisovič ihre Treue; doch wenig später wechselt das zarische Heer unter Basmanov[27] die Seiten und kämpft nun an der Seite des Falschen Dmitrij. Die Episode Fedor Godunov endet ziemlich schnell, am 1.6.1605; der Zar und seine Mutter werden erdrosselt. Nun steht dem Einzug des Prätendenten in Moskau nichts mehr im Wege. Drei Tage vor der Krönung des Falschen Dmitrij zum Zaren aller Russen, findet in Moskau eine weitere Inszenierung statt: die letzte Frau Ivans IV. und Mutter des wahren Dmitrij, Marija Nagaja, seit 1592 die Nonne Marfa, erkennt im Pseudodemetrius ihren Sohn wieder. Im Herbst 1605 wird der Falsche Zar mit Marina Mniszek nach lateinischem Ritus in Krakau getraut. Die russische Trauung findet am 9.5.1606 in Moskau statt. Jedoch ist dieser Tag in der Orthodoxie ein Fasttag, dem Hl. Nikolaj gewidmet. Damit zieht sich der neue Zar den Unmut der Moskauer zu. Bald jedoch beginnt die Stimmung im ganzen Moskauer Reich zu kippen. Sein Lebens- und Regierungsstil (selbstherrliches Auftreten und Nichtbeachten der orthodoxen Regeln; Bevorzugung seiner polnischen Helfer) lassen sein Ansehen aber auch bei der ländlichen Bevölkerung sinken. So sind es denn die Bauern, die sich gegen ihn mobilisieren, da er auch die früheren Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Herr und Bauer wieder einrichten will.[28]
Die politische Lage bleibt unbeständig. Nach nur elf Monaten geht der Spuk des Falschen Zaren zu Ende. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen kann der Falsche Dmitrij seine polnischen Kampfgefährten auf Grund leerer Kassen nicht wie versprochen entlohnen. Zum anderen gelingt es einigen russischen Altadeligen unter Vasilij Šujskij[29], den Unmut der Bevölkerung nutzend, einen gewaltsamen Putsch gegen den Falschen Zaren zu initiieren, in deren Ende er am 17.6.1606 durch Gewehrschüsse ums Leben kommt.
Danach wird Vasilij Šujskij zum Zaren gewählt. Doch auch er vermag es nicht, Stabilität in Russland aufzubauen und wird am 16.7.1610 von seinen Gegner – die einem zweiten Falschen Dmitrij[30] folgen – zum Thronverzicht gezwungen und als Mönch geweiht.[31] De facto herrscht danach ein dreijähriges Interregnum[32], das mit der Wahl Michail Romanovs[33] zum Zaren am 11.07.1613 endet. Erst dann kann eine allmähliche Stabilisierung der politischen Situation in Russland erfolgen.
2.4. Zur außenpolitische Situation Russlands
Jahrhunderte lang gilt das osteuropäische Gebiet an den Ufern der Ostsee als Zankapfel mehrerer Staaten: es bekämpfen sich die Schweden, Polen, Litauer, Livländer, Russen, Deutsche in wechselnden Koalitionen einander. So ist es nicht verwunderlich, dass in Zeiten einer starken innenpolitischen Krise in Russland, die äußeren Feinde nach Möglichkeiten suchen, diese Instabilität zu ihren Gunsten auszunutzen.
Wie schon erwähnt, leisten polnische Adelige dem Prätendenten bereitwillig Unterstützung; hoffen sie doch damit, ihren eigenen und den Machtbereich des Königreiches Polen-Litauen erheblich zu vergrößern.
Gleichzeitig bietet der schwedische König Russland gegen den polnischen Feind Unterstützung an. Sicher nicht selbstlos, gibt es doch schwedisch-polnischen Streit um Livland, den die Schweden in einem Bündnis mit Russland zu ihren Vorteil nutzen könnten.
Aber auch Russland geht in die Initiative. Boris Godunov hofft, durch Verheiratung seiner Tochter Ksenija[34] neue Verbündete zu gewinnen; mal soll es das dänische Königshaus[35] sein, mal das schwedische[36]. Auch wird versucht, die Habsburger dafür zu gewinnen.[37] Unter anderem auch deshalb, um gemeinsam gegen das Osmanische Reich vorgehen zu können. So könnte sich für Russland das Problem der Krimtataren – die sporadisch ins Moskauer Reich einfallen –, als deren Oberhaupt sich der osmanische Sultan sieht, mit Hilfe des Kaiserreichs gelöst werden. Gleichzeitig könnte so auch der osmanische Einfluss an der Südostgrenze Russlands eingedämmt werden.
Nicht vergessen darf man die katholische Kirche. Sie muss wohl ein bestimmtes Interesse an innenpolitischer Instabilität in Russland gehabt haben, nährte dies doch Hoffnungen auf eine Kirchenunion mit der Orthodoxie.
Wie schon erwähnt, leisten polnische Adelige dem Prätendenten bereitwillig Unterstützung; hoffen sie doch damit, ihren eigenen und den Machtbereich des Königreiches Polen-Litauen erheblich zu vergrößern.
Gleichzeitig bietet der schwedische König Russland gegen den polnischen Feind Unterstützung an. Sicher nicht selbstlos, gibt es doch schwedisch-polnischen Streit um Livland, den die Schweden in einem Bündnis mit Russland zu ihren Vorteil nutzen könnten.
Aber auch Russland geht in die Initiative. Boris Godunov hofft, durch Verheiratung seiner Tochter Ksenija[34] neue Verbündete zu gewinnen; mal soll es das dänische Königshaus[35] sein, mal das schwedische[36]. Auch wird versucht, die Habsburger dafür zu gewinnen.[37] Unter anderem auch deshalb, um gemeinsam gegen das Osmanische Reich vorgehen zu können. So könnte sich für Russland das Problem der Krimtataren – die sporadisch ins Moskauer Reich einfallen –, als deren Oberhaupt sich der osmanische Sultan sieht, mit Hilfe des Kaiserreichs gelöst werden. Gleichzeitig könnte so auch der osmanische Einfluss an der Südostgrenze Russlands eingedämmt werden.
Nicht vergessen darf man die katholische Kirche. Sie muss wohl ein bestimmtes Interesse an innenpolitischer Instabilität in Russland gehabt haben, nährte dies doch Hoffnungen auf eine Kirchenunion mit der Orthodoxie.
3. Der Falsche Dmitrij als literarische Figur
Die turbulenten Ereignisse um den Falschen Dmitrij[38] riefen sowohl in Russland als auch in Westeuropa großes Interesse an einer Bearbeitung des Stoffes hervor.
Bereits unmittelbar nach den Ereignissen um die Thronbesteigung des Falschen Dmitrij erscheint noch im Jahre 1605 in London das Werk Sir Thomas’ Reise und Aufenthalt in Russland, dessen Autor wahrscheinlich George Wilkens ist. Es ist ein Tatsachenbericht, der nach Ansicht des Autors für eine künstlerische Bearbeitung sehr gut in Frage kommt. Jedoch dauerte es knapp ein Jahrhundert, bis das erste dramatische Werk entstand. Die Tragödie Der Zar von Moskau[39] aus der Feder von M. Pix konnte aber weder in Form noch Inhalt überzeugen.
Ganz anders die Situation in Spanien. Hier ist es Lope de Vega[40], dessen Drama Der Großfürst von Moskau und der verfolgte Kaiser[41] im Jahre 1617 erscheint. Historische Grundlage für dieses Werk ist wohl die Erzählung von der bemerkenswerten, fast wunderbaren Eroberung des väterlichen Imperiums durch den hehren Jüngling Dimitrij vom Jesuiten Antonio Possevino.[42] Besonders interessant scheint auch der Umstand zu sein, dass Lope de Vega wohl aus erster Hand von den Brüdern Marina Mniszeks Berichte über die Zustände in Moskau und Polen erhält.[43] Jedoch verwundert es, dass dabei teils skurrile Irrtümer und Widersprüche zu Tage treten[44], so die Existenz des Spaniers Rufino als Erzieher des Thronfolgers oder der Umstand, Demetrius sei der Enkel und nicht der Sohn Ivans IV. Im Übrigen ist der Demetrius des Lope de Vega kein Betrüger, sondern der wahre und rechtmäßige Thronfolger.[45] Ebenfalls abweichend von der Wirklichkeit, versucht der Zar Boris, sich selbst dem Prätendenten in den Weg zu stellen. Dies misslingt und der Zar nimmt sich vor Demetrius’ Augen das Leben. Das Werk endet mit der Schlacht bei Kromy.
In italienischen zeitgenössischen Bearbeitungen des Stoffes gibt es eine wesentliche Gemeinsamkeit mit den spanischen[46]: auch hier wird Demetrius als der wahre und legitime Thronfolger, ihm gegenüber aber Boris Godunov als der Usurpator angesehen. Letzterer taucht in den eigentlichen Handlungen aber so gut wie gar nicht auf, und wenn dann doch, dann meist nur in den Prologen auf und berichtet von seinen „Sünden“.[47] Besonders kennzeichnend für italienische Werke des 17. Jahrhunderts ist die Veränderung der Handlung in eine Harlekinade[48]. Stellvertretend dafür sei Harlekin Demetrius von Boccabodati[49] genannt. Verwirrungen um gleich drei Personen Demetrius[50], in deren Ende ein falscher Demetrius stirbt und somit den anderen beiden das Überleben ermöglicht. Jedoch will sich der Harlekin-Demetrius seinem Schicksal nicht fügen und strebt zur Macht. Auf Grund seines ungeschickten Charakters misslingt ihm dies und der echte Demetrius kann dank seiner edlen Herkunft den Thron besteigen. Zentrales Motiv ist demnach die „Gegenüberstellung von Aristokrat und ‚grobem Bauer’“[51] – wobei letzterer stets zum Scheitern verurteilt ist –; das Ideal der aristokratischen Literatur.
Besondere Bedeutung[52] kommt dem Werk von Friedrich Schiller zu, diente es doch zahlreichen anderen deutschen Dichtern[53] als Vorlage. Unglücklicherweise bleibt sein Werk Demetrius – Die Bluthochzeit von Moskau unvollendet, denn Schiller stirbt am 9.5.1805 und konnte nur ein knappes Jahr an diesem dramatischen Werk arbeiten. Nichtsdestotrotz hinterließ er nicht nur ein Dramenfragment, sondern auch eine Fülle bereits konzipierter Rohentwürfe in Prosa, wohl auch ein Grund, warum eine große Anzahl von Dichtern sich daran machte, Schillers Werk zu vollenden. Am Anfang der Handlung steht eben die Person des Demetrius als ein junger, liebenswürdiger, aber doch auch nicht tadelloser Mann, der den Reichstag in Krakau mit Hilfe eines Schmuckstücks und dem Eintreten von fünfzig polnischen Adligen von seiner edlen Abstammung überzeugt, mit dessen Hilfe er sein rechtlich angestammtes Erbe, den Thron von Moskau, antreten will. Mit Hilfe polnischer Adliger und großer Versprechungen im Falle eines Sieges gelingt es, Freiwillige für einen Feldzug gegen Russland zu gewinnen. Mahnende Stimmen des Reichstags werden nicht beachtet. Verlobt mit der forschen Marina Meischek und mit dem – inoffiziellen – Segen des Königs zieht er gen Moskau. Derweil erfährt man in Russland vom Ansinnen des Prätendenten. Marfa, die Mutter des wahren Zarensohnes unterstützt zögernd Demetrius, kann sie doch so ihren ärgsten Widersacher, Zar Boris, schädigen. In Tula erfährt jedoch Demetrius von seiner wahren Herkunft. Er wurde von der Person „X“ im Glauben gehalten, der Thronfolger zu sein. Damit wollte dieser Zar Boris schädigen, da der ihm bei der Zarenwahl zuvor kam. Zar Boris stirbt und Demetrius kann den Thron besteigen. Jedoch kommt es zum Konflikt mit dem Volk. Es lässt sich, bestürzt vom unangemessenen Betragen des neuen Zaren, von Zusky anstacheln. Als Marfa zögert, ihren vermeintlichen Sohn endgültig anzuerkennen, wird Demetrius getötet. Damit endet der dramatische Teil des Fragmentes.
Das wohl bedeutendste russischsprachige Werk[54] zum Thema des Falschen Dmitrij ist zweifelsohne das Werk Aleksandr Puškins.[55]. Es ist eine Tragödie in 24 Szenen. Die Handlung beginnt nach dem Tode Fjodors, Sohn des schrecklichen Zaren. In Moskau gibt es Gerüchte – angezettelt vom Fürsten Schuiskij –, dass der Zarensohn Dimitrij nicht tot sei. Dies hört auch der junge Mönch Grigorij Otrepjew im Moskauer Tschudowkloster. Bestärkt vom alten Mönch Pimen, träumt Otrepjew vom Aufstieg im Moskauer Reich, da im gleichen Alter wie Dimitrij ist. Er flieht aus dem Kloster nach Polen. Dort gibt er sich als Zarensohn Dimitrij aus und wird von hohen Würdenträgern empfangen. Marina, die Tochter des Mnischek, sieht die Chance für ihren sozialen Aufstieg und will Dmitrij heiraten. Jedoch offenbart sich dieser ihr aus Liebe. Sie droht, ihn zu verraten, sollte er „sein Spiel“ nicht weiterspielen. Derweil beginnen in Moskau die Bojaren – durch Schuiskijs Intrige – am Zaren Boris zu zweifeln. Dieser liegt kurze Zeit später im Sterben. Der Bojar Puschkin verkündet den Tod des alten Zaren Boris und fordert vom Volk die Huldigung für den neuen Zaren Dimitrij. Boris’ Sohn und Frau vergiften sich. Noch vor dem Einzug des neuen Zaren in Moskau endet das Werk.
Bereits unmittelbar nach den Ereignissen um die Thronbesteigung des Falschen Dmitrij erscheint noch im Jahre 1605 in London das Werk Sir Thomas’ Reise und Aufenthalt in Russland, dessen Autor wahrscheinlich George Wilkens ist. Es ist ein Tatsachenbericht, der nach Ansicht des Autors für eine künstlerische Bearbeitung sehr gut in Frage kommt. Jedoch dauerte es knapp ein Jahrhundert, bis das erste dramatische Werk entstand. Die Tragödie Der Zar von Moskau[39] aus der Feder von M. Pix konnte aber weder in Form noch Inhalt überzeugen.
Ganz anders die Situation in Spanien. Hier ist es Lope de Vega[40], dessen Drama Der Großfürst von Moskau und der verfolgte Kaiser[41] im Jahre 1617 erscheint. Historische Grundlage für dieses Werk ist wohl die Erzählung von der bemerkenswerten, fast wunderbaren Eroberung des väterlichen Imperiums durch den hehren Jüngling Dimitrij vom Jesuiten Antonio Possevino.[42] Besonders interessant scheint auch der Umstand zu sein, dass Lope de Vega wohl aus erster Hand von den Brüdern Marina Mniszeks Berichte über die Zustände in Moskau und Polen erhält.[43] Jedoch verwundert es, dass dabei teils skurrile Irrtümer und Widersprüche zu Tage treten[44], so die Existenz des Spaniers Rufino als Erzieher des Thronfolgers oder der Umstand, Demetrius sei der Enkel und nicht der Sohn Ivans IV. Im Übrigen ist der Demetrius des Lope de Vega kein Betrüger, sondern der wahre und rechtmäßige Thronfolger.[45] Ebenfalls abweichend von der Wirklichkeit, versucht der Zar Boris, sich selbst dem Prätendenten in den Weg zu stellen. Dies misslingt und der Zar nimmt sich vor Demetrius’ Augen das Leben. Das Werk endet mit der Schlacht bei Kromy.
In italienischen zeitgenössischen Bearbeitungen des Stoffes gibt es eine wesentliche Gemeinsamkeit mit den spanischen[46]: auch hier wird Demetrius als der wahre und legitime Thronfolger, ihm gegenüber aber Boris Godunov als der Usurpator angesehen. Letzterer taucht in den eigentlichen Handlungen aber so gut wie gar nicht auf, und wenn dann doch, dann meist nur in den Prologen auf und berichtet von seinen „Sünden“.[47] Besonders kennzeichnend für italienische Werke des 17. Jahrhunderts ist die Veränderung der Handlung in eine Harlekinade[48]. Stellvertretend dafür sei Harlekin Demetrius von Boccabodati[49] genannt. Verwirrungen um gleich drei Personen Demetrius[50], in deren Ende ein falscher Demetrius stirbt und somit den anderen beiden das Überleben ermöglicht. Jedoch will sich der Harlekin-Demetrius seinem Schicksal nicht fügen und strebt zur Macht. Auf Grund seines ungeschickten Charakters misslingt ihm dies und der echte Demetrius kann dank seiner edlen Herkunft den Thron besteigen. Zentrales Motiv ist demnach die „Gegenüberstellung von Aristokrat und ‚grobem Bauer’“[51] – wobei letzterer stets zum Scheitern verurteilt ist –; das Ideal der aristokratischen Literatur.
Besondere Bedeutung[52] kommt dem Werk von Friedrich Schiller zu, diente es doch zahlreichen anderen deutschen Dichtern[53] als Vorlage. Unglücklicherweise bleibt sein Werk Demetrius – Die Bluthochzeit von Moskau unvollendet, denn Schiller stirbt am 9.5.1805 und konnte nur ein knappes Jahr an diesem dramatischen Werk arbeiten. Nichtsdestotrotz hinterließ er nicht nur ein Dramenfragment, sondern auch eine Fülle bereits konzipierter Rohentwürfe in Prosa, wohl auch ein Grund, warum eine große Anzahl von Dichtern sich daran machte, Schillers Werk zu vollenden. Am Anfang der Handlung steht eben die Person des Demetrius als ein junger, liebenswürdiger, aber doch auch nicht tadelloser Mann, der den Reichstag in Krakau mit Hilfe eines Schmuckstücks und dem Eintreten von fünfzig polnischen Adligen von seiner edlen Abstammung überzeugt, mit dessen Hilfe er sein rechtlich angestammtes Erbe, den Thron von Moskau, antreten will. Mit Hilfe polnischer Adliger und großer Versprechungen im Falle eines Sieges gelingt es, Freiwillige für einen Feldzug gegen Russland zu gewinnen. Mahnende Stimmen des Reichstags werden nicht beachtet. Verlobt mit der forschen Marina Meischek und mit dem – inoffiziellen – Segen des Königs zieht er gen Moskau. Derweil erfährt man in Russland vom Ansinnen des Prätendenten. Marfa, die Mutter des wahren Zarensohnes unterstützt zögernd Demetrius, kann sie doch so ihren ärgsten Widersacher, Zar Boris, schädigen. In Tula erfährt jedoch Demetrius von seiner wahren Herkunft. Er wurde von der Person „X“ im Glauben gehalten, der Thronfolger zu sein. Damit wollte dieser Zar Boris schädigen, da der ihm bei der Zarenwahl zuvor kam. Zar Boris stirbt und Demetrius kann den Thron besteigen. Jedoch kommt es zum Konflikt mit dem Volk. Es lässt sich, bestürzt vom unangemessenen Betragen des neuen Zaren, von Zusky anstacheln. Als Marfa zögert, ihren vermeintlichen Sohn endgültig anzuerkennen, wird Demetrius getötet. Damit endet der dramatische Teil des Fragmentes.
Das wohl bedeutendste russischsprachige Werk[54] zum Thema des Falschen Dmitrij ist zweifelsohne das Werk Aleksandr Puškins.[55]. Es ist eine Tragödie in 24 Szenen. Die Handlung beginnt nach dem Tode Fjodors, Sohn des schrecklichen Zaren. In Moskau gibt es Gerüchte – angezettelt vom Fürsten Schuiskij –, dass der Zarensohn Dimitrij nicht tot sei. Dies hört auch der junge Mönch Grigorij Otrepjew im Moskauer Tschudowkloster. Bestärkt vom alten Mönch Pimen, träumt Otrepjew vom Aufstieg im Moskauer Reich, da im gleichen Alter wie Dimitrij ist. Er flieht aus dem Kloster nach Polen. Dort gibt er sich als Zarensohn Dimitrij aus und wird von hohen Würdenträgern empfangen. Marina, die Tochter des Mnischek, sieht die Chance für ihren sozialen Aufstieg und will Dmitrij heiraten. Jedoch offenbart sich dieser ihr aus Liebe. Sie droht, ihn zu verraten, sollte er „sein Spiel“ nicht weiterspielen. Derweil beginnen in Moskau die Bojaren – durch Schuiskijs Intrige – am Zaren Boris zu zweifeln. Dieser liegt kurze Zeit später im Sterben. Der Bojar Puschkin verkündet den Tod des alten Zaren Boris und fordert vom Volk die Huldigung für den neuen Zaren Dimitrij. Boris’ Sohn und Frau vergiften sich. Noch vor dem Einzug des neuen Zaren in Moskau endet das Werk.
4. Zusammenfassung
Warum konnte das ganze „Unternehmen Falscher Zar“ gelingen? Zum einen, weil der Prätendent eine charismatische Person war, der es gelang, andere Personen von seinem Handeln zu überzeugen. Warum musste das „Unternehmen Falscher Zar“ scheitern? Wie schon erwähnt lebte der Pseudodemetrius einen Lebensstil, der in den Augen der Russen Missgunst hervorrufen musste. Der Eindruck, der „Zar“ bevorzuge die Polen, verstärkte diese noch. Enttäuschte Bojaren und unzufriedene Untertanen, einte im gewissen Sinne der Wunsch, nach einem wie auch immer gearteten Regierungswechsel. Jedoch konnte eine gewisse Stabilität erst Jahre später, noch lange nach dem der erste Romanov zum Zaren gekrönt wurde, erreicht werden.
Es bleibt zu konstatieren, dass im Laufe der Jahrhunderte das Thema des Falschen Dmitrij unterschiedlich präsentiert worden ist. Charakteristisch für italienische und spanische Werke ist der Umstand, dass auf das Thema der Usurpation des angeblichen letzten Sohnes Ivans IV. nicht eingegangen wird. Vielmehr wird er vom Volk als der wahre Thronfolger gesehen. Demgegenüber ist es Boris Godunov, der die Zarenkrone illegitim erworben hat. In den Werken tritt dieser jedoch, wenn überhaupt, nur als Randerscheinung auf.
Demgegenüber sind die bedeutendsten deutschen und russischen Werke, näher an der historischen Wahrheit. Dabei ist die Figur des Dmitrij stets der Usurpator, teils wissend, teils unwissend.
Zum anderen aber auch ganz profane: das historische Quellenmaterial. So konnten sowohl Schiller als auch Puškin knapp zweihundert Jahre später auf andere bzw. unmittelbare Primär- und Sekundarquellen zurückgreifen. Sicherlich spielte auch der persönliche Stil im Umgang mit diesen Quellen eine Rolle.
Es bleibt zu konstatieren, dass im Laufe der Jahrhunderte das Thema des Falschen Dmitrij unterschiedlich präsentiert worden ist. Charakteristisch für italienische und spanische Werke ist der Umstand, dass auf das Thema der Usurpation des angeblichen letzten Sohnes Ivans IV. nicht eingegangen wird. Vielmehr wird er vom Volk als der wahre Thronfolger gesehen. Demgegenüber ist es Boris Godunov, der die Zarenkrone illegitim erworben hat. In den Werken tritt dieser jedoch, wenn überhaupt, nur als Randerscheinung auf.
Demgegenüber sind die bedeutendsten deutschen und russischen Werke, näher an der historischen Wahrheit. Dabei ist die Figur des Dmitrij stets der Usurpator, teils wissend, teils unwissend.
Zum anderen aber auch ganz profane: das historische Quellenmaterial. So konnten sowohl Schiller als auch Puškin knapp zweihundert Jahre später auf andere bzw. unmittelbare Primär- und Sekundarquellen zurückgreifen. Sicherlich spielte auch der persönliche Stil im Umgang mit diesen Quellen eine Rolle.
5. Literaturverzeichnis
- Alekseev, Michail P.: Boris Godunov und der Falsche Demetrius im westeuropäischen Drama, in ders.: Zur Geschichte russisch-europäischer Literaturtraditionen. Aufsätze aus vier Jahrzehnten, Berlin 1974, S.179-218.
- Kasack, Wolfgang: Hauptwerke der russischen Literatur. Einzeldarstellungen und Interpretationen, München 1997
- Lauer, Reinhard: Geschichte der russischen Literatur. Von 1700 bis zur Gegenwart, München 2000
- Osterwald, Birgit: Das Demetrius-Thema in der russischen und deutschen Literatur, Münster 1982
- Puschkin, Alexander: Boris Godunow. Die Komödie vom Zaren Boris und Grischka Otrepjew (1825), Stuttgart 2003
- Schiller, Friedrich: Demetrius. Fragment, Leipzig 1986
- Skrynnikow, Ruslan G.: Iwan der Schreckliche und seine Zeit, München 1992
- Städtke, Klaus: Russische Literaturgeschichte, Stuttgart 2002
- Stökl, Günther: Russische Geschichte - Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 1997[6]
- Torke, Hans-Joachim: Die russischen Zaren 1547-1917, München 2005[3]
- Torke, Hans-Joachim: Einführung in die Geschichte Rußlands, München 1997
[1] Ivan IV. Vasilievič (25.8.1530-18.3.1584), Großfürst, lässt sich am 4.12.1533 zum Zaren aller Russen krönen.
[2] Anastasija Romanova (ca. 1530/32-7.8.1560), erste Ehefrau Ivans IV., Heirat am 3.2.1547; Schwester von Nikita Romanovič Jur’ev-Zachar’in (ca. 1530-23.4.1586), der dem Regentschaftsrat (siehe FN 6) vorsteht.
[3] Im Alter von 6 Monaten stirbt der Zarensohn, als seine Amme und er von einem Bootssteg ins Wasser fallen.
[4] Der Zarensohn kommt seiner Frau Irina Šeremeteva zu Hilfe, als diese von Ivan IV. geprügelt wird. Ein Schlag des Vaters trifft ihn so unglücklich an der Schläfe, dass er einige Tage später am 19.11.1581 daran verstirbt. Die Frau des Thronfolgers ist zu dieser Zeit schwanger, bringt jedoch später nur einen toten Sohn zur Welt.
[5] Fedor Ivanovič (31.5.1557-6.1.1598), Zar (seit 31.5.1584)
[6] Auf Grund der psychischen Situation des Zaren Fedor Ivanovič existiert ein so genannter Regentschaftsrat (Izbrannaja rada), der bis 1586 von Nikita Romanovič Jur’ev-Zachar’in und danach von Boris Godunov geleitet wird. Weitere Mitglieder sind: F.I. Mstislavskij, N.R. Trubeckoj, I.M. Glinskij, B.I. Tatev und F.M. Troekurov. Weitere Informationen in: Энциклопедия кругосвет, URL: http://www.krugosvet.ru/articles/120/1012024/1012024a1.htm [Stand: 01.04.2006]
[7] Boris Fedorovič Godunov (1552-13.4.1605), Bojar, Regent, Zar (1598-1605), tatarischer Herkunft
[8] Dies ist ein wichtiges Ereignis, werfen doch Boris’ Kritiker ihm vor, er hätte die Macht ausschließlich usurpiert.
[9] Marija Fedorovna Nagaja (seit 1592 Nonne Marfa, † 1612) heiratet am 6.9.1580 Ivan IV.
[10] Dmitrij Ivanovič (19.10.1582-15.5.1591)
[11] Udel (Erbsitz) der Zarenwitwe. Der Ort befindet sich in der Oblast’ Jaroslavl. An der Stelle, an der Dmitrij Ivanovič starb, wurde die Kirche Cerkov’ svjatego Careviča Dmitrija erbaut.
[12] Näheres dazu in Karamzin, Nikolaj Michailovič: Istorija gosudarstvo Rossijskogo (tom 10), The Hague 1969; Solov’ev, Sergej Michailovič: Istorija Rossii s drevnejšich vremen (tom 7), Moskva 1959-1965; Ključevskij, Vasilij Osipovič: Russkaja istorii – Pol’nyj kurs lekcii, Moskva 2002
[13] Vasilij Ivanovič Šujskij (1552-12.9.1612), Bojar, Zar (1606-1610), Gegner Boris Godunovs
[14] Vgl. Torke, Zaren, S. 57. Näheres dazu auch in Platonow, Sergej F.: Geschichte Russlands vom Beginn bis zur Jetztzeit, Leipzig 1927.
[15] Vgl. Stökl, Russische Geschichte, S. 261f.
[16] Meint hier die eigentliche Schreckensherrschaft Ivans IV. Er installiert eine nur ihm unmittelbar unterstehende Miliz mit Sonderbefugnissen. Näheres dazu in Grüning, Martin: Die Opričninapolitik Ivans IV. und ihre Ziele (Magisterarbeit), Kiel 1999
[17] Sie ist die Tochter des berüchtigtsten Opričniks, Miljuta Skuratov.
[18] Auf russischer offizieller Seite nannte man ihn stets vor (Betrüger). Vgl. Stökl, Russische Geschichte, S. 267.
[19] In der russischsprachigen Literatur wird auch der Begriff samozvanec (der Selbsternannte) benutzt.
[20] Sein Vater, Bogdan Otrep’ev, ist sotnik (Hundertschaftsführer) in einem galicischen Schützenregiment.
[21] In: Torke, Zaren, S. 71f.
[22] Dafür konvertiert der ehemalige Mönch Otrep’ev zum Katholizismus.
[23] Zu den schärfsten Kritikern zählen Jan Zamojski (1542-1605), Lew Sapieha (1557-1633), Stanisław Żółkiewski (1547-1620). Für diese Angaben gilt der Gregorianische Kalendar.
[24] Ein Herr war stets verpflichtet, auch in Zeiten der Not, seinen Bauern zu „ernähren“. Dies wurde aber umgangen, indem der Bauer, widerrechtlich, verjagt wurde.
[25] Ohne sich jedoch diese „Freilassung“ urkundlich bezeugen zu lassen. Dies galt den Herren nach Überwindung von Not-Zeiten als Vorwand, „ihre“ entlaufenden Bauern gewaltsam zurückbringen zu lassen.
[26] Gesicherte Informationen über Lebensdaten liegen nicht vor.
[27] Fedor Alekseevič Basmanov (ca. 1562-17.5.1606), Heerführer, Bojar
[28] Bauern, die auf Grund der widrigen Umstände (Missernten, Hungersnöte) ihren Herren verließen, sollten diesem – wenn nötig mit Gewalt – wieder zugeführt werden (Schollenbindung, krepostnoe pravo). Vgl. Torke, Zaren, S. 76.
[29] An der sich auch seine Brüder Dmitrij Ivanovič (starb 1612) und Ivan Ivanovič (ca. 1566-ca. 1638) beteiligen. Vgl. Torke, Zaren, S. 78.
[30] „Im Sommer 1611 zählte man bis zu einem Dutzend Prätendenten, die vorgaben, der ‚echte’ Dmitrij Ivanovič zu sein.“ in: Torke, Zaren, S. 88.
[31] Er stirbt als polnischer Gefangener am 12.9.1612 in der Nähe von Warschau.
[32] Die semibojarščina (Sieben-Bojaren-Rat) bildete das höchste offizielle Organ des Staates. Ihm gehörten die Bojaren F.I. Mstislavskij, I.M. Vorotynskij, A.V. Trubeckoj, B.M. Lykov, I.N. Romanov, F.I. Šeremetev und anfänglich auch V.V. Golicyn an. Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass sie keine reale Macht hatten, den Staat als ganzen zu regieren. Weitere Informationen hierzu in: Энциклопедия кругосвет, URL: http://www.krugosvet.ru/articles/120/1012024/1012024a1.htm [Stand: 01.04.2006]. Im Übrigen sollte der Sohn Zygmunts III., Wladysław (9.6.1595-20.5.1648) zum Zaren ausgerufen werden. Doch erhob der polnische König kurze Zeit später selbst Ansprüche an den russischen Thron.
[33] Der erst Sechzehnjährige Michail Fedorivič (12.07.1596-13.07.1645) wird vom zemskij sobor (Landesversammlung) zum Zaren gewählt. In Wirklichkeit ist es jedoch dessen Vater, der Patriarch Philaret (eigtl. Fedor Nikitič Romanov, 1556-1633), der die Macht ausübt. Nichtsdestotrotz stellt dies den Beginn der 300jährigen Dynastie der Romanovs dar.
[34] Ksenija Borisovna Godunova († 1622), Tochter des Boris Godunov und der Marija Skuratova-Bel’skaja († 10.6.1605)
[35] So gibt es Pläne einer Hochzeit mit Herzog Johan, dem Bruder Königs Christian IV. Vgl. Torke, Zaren, S. 58f.
[36] Auch Gustav, Sohn des Schweden-Königs Johan III. kommt in die engere Wahl. Vgl. ebd.
[37] Ebd.
[38] Angemerkt sei an dieser Stelle, dass damit nur der erste Falsche Dmitrij gemeint ist. Zwar gab es weitere Prätendenten (siehe FN 30); diese spielen aber bei dieser Betrachtung keine Rolle. Vorgesehen war bei Schiller die Figur eines zweiten Pseudodemetrius, der am Ende der Tragödie auftreten sollte. Vgl. Schiller: Demetrius, S. 101.
[39] The Czar of Moscow
[40] Lope Félix de Vega Carpio (25.11.1562-27.8.1635), spanischer Dichter
[41] El gran Duque de Moscovia y Emperador perseguido.
[42] Veröffentlicht unter dem Pseudonym Barezzo Barezzi im Jahre 1606. Er stand im persönlichen Kontakt zum Falschen Dmitrij und konnte sich ein sehr genaues Bild des Moskauer Lebens machen.
[43] Vgl. Alekseev, Boris Godunov, S. 409.
[44] Entschuldigt mag dies damit werden, dass es Beziehungen zwischen Spanien und Russland zu dieser Zeit als solche kaum gegeben hat und der Autor demzufolge viel improvisieren musste. Oder er wurde schlicht und einfach falsch informiert.
[45] Somit ist in diesem Werk das Motiv des Usurpators – anders als in späteren literarischen Werken – nicht existent.
[46] Das lässt darauf schließen, dass gleiches historisches Quellenmaterial, das des Jesuiten Possevino, benutzt wurde.
[47] Gemeint sind hier die Attentatsversuche am Thronfolger Demetrius.
[48] Harlekin meint hier die Bezeichnung der zweiten Dienerfigur. Siehe Schweikle, Günther und Irmgard (Hrsg.): Metzler Literatur Lexikon. Begriffe und Definitionen, Stuttgart 19902, S. 190.
[49] Ende des 17. Jahrhunderts entstanden. Vgl. Alekseev: Boris Godunov, S. 195.
[50] Ein echter Demetrius und zwei Doppelgänger. Diese sind leibeigene Kinder, im gleichen Alter und ebenso erzogen wie der Thronfolger. Sie „dienen“ dazu, die Attentatspläne des Boris Godunov zu durchkreuzen.
[51] In Alekseev: Boris Godunov, S. 196.
[52] „… eines der größten Werke aller Zeiten …“, in Alekseev: Boris Godunov, S. 205
[53] Stellvertretend seien an dieser Stelle nur die folgenden genannt: Ferdinand Gustav Kühne (27.12.1806-22.4.1888), Volker Braun (* 7.5.1939): Dimitri, Leipzig 1983. Ferner bearbeiteten diesen Stoff, wenn auch nicht unbedingt Schillers Fragment nutzend, Hermann Grimm (6.1.1828-16.6.1901): Demetrius, Leipzig 1854; Christian Friedrich Hebbel (18.3.1813-13.12.1863): Demetrius (Fragment), Berlin 1864 oder Walter Flex (6.7.1887-16.10.1917): Demetrius. Ein Trauerspiel, Berlin 1909 und andere.
[54] Weitere Werke sind: Sumarokov, Aleksandr Petrovič (1717-1777): Dmitrij Samozvanec, Moskva 1771, Ostrovskij, Aleksandr Nikolaevič (31.3.1823-2.6.1886): Dmitrij Samozvanec i Vasilij Šujskij, Moskva 1867, Tolstoj, Aleksej Konstantinovič (1817-1875): Smert’ Ioanna Grosnogo, Moskva 1866, ders.: Car’ Fedor Ioannovič, Moskva 1868, ders.: Car’ Boris, Moskva 1870.
[55] Es ist die „erste große Geschichtstragödie der russischen Literatur“, in Lauer: Geschichte, S. 193.